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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik
Autoren: Abbas Khider
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meine hinteren Hosentaschen ab, streiche über meinen Reisepass und den Geldbeutel, anschließend betaste ich die vorderen Hosentaschen und fühle die Hausschlüssel für meine Wohnungen in Kairo und in Bengasi. Alles ist da, ich habe nichts vergessen. Die Dokumente? Liegen vor dem Lenkrad.
    Jedes Mal, wenn ich losfahre und auf das Gaspedal trete, befürchte ich, etwas vergessen zu haben. Es folgt immer dieselbe Zeremonie. Immer wieder dieselbe Unsicherheit, und immer wieder habe ich eigentlich an alles gedacht. Trotzdem wiederhole ich die Prozedur jedes Mal aufs Neue, kontrolliere und durchforste mein Gedächtnis. Früher kam mir manchmal plötzlich der Gedanke, ich hätte die Haustür nicht zugesperrt. Einmal war ich bereits außerhalb von Bengasi und kehrte um, weil ich befürchtete, den Gasherd angelassen zu haben. In der Wohnung angekommen, zeigte sich, dass alles in Ordnung war. Es ist immer dasselbe, wenn ich abreisen muss. Irgendwann sollte diese Nervosität aufhören.
    Flüchtig beäuge ich die drei Reisenden. Zwei von ihnen dürften Ägypter sein, die lassen sich schnell identifizieren. Dank der unzähligen Passagiere, die ich in meinem Leben transportiert habe, habe ich eine langjährige Erfahrung im Unterscheiden von Nationalitäten gesammelt. Der dritte Passagier muss Iraker oder Palästinenser sein – oder kommt er vielleicht aus Syrien?
    Die drei Männer schweigen und schauen durch das Fenster auf Bengasi, als wäre ihnen die Stadt fremd. Menschen füllen zunehmend die Bürgersteige, mehr und mehr Autos die Straßen. In die wieder geöffneten Geschäfte kehrt das Alltagsleben zurück. Jungen und Mädchen flattern wie Möwen in Richtung Mittelmeer. Familien flanieren die Straßen entlang und betrachten die Läden.
    »Ich war nie wirklich in Bengasi«, durchbricht der Mann neben mir die Stille. »Immer nur einige Stunden. Dabei bin ich jedes Jahr hier gewesen. Aber eben nur für wenige Stunden. Musste immer gleich weiterfahren. Ich habe es nie geschafft, hier mal mehrere Tage zu bleiben.«
    »Wo wohnst du denn?«, frage ich, erfreut, dass einer der Fahrgäste Lust auf eine Plauderei verspürt.
    »In Tripolis! Bin heute hier angekommen, nach über tausend Kilometern. Das war eine nicht enden wollende Fahrt. Und jetzt noch einmal tausend Kilometer bis nach Kairo. Aber ich freue mich darauf, bin seit einem Jahr nicht zu Hause gewesen.«
    »Was arbeitest du, wenn ich fragen darf?«
    »Bin in einem Café am Strand angestellt.« Er dreht sich nach hinten und schaut die beiden anderen Reisenden an: »Seid ihr alle Gastarbeiter? Oder vielleicht Touristen?«
    »Ich bin Ägypter, Lehrer in Tarhuna.«
    »Ich heiße Najem und stamme aus Syrien. Ich arbeite auf der Baustelle in Mizdah.«
    »Und du, Fahrer?«, fragt er mich.
    »Mein Name ist Haytham. Bin auch Ägypter.«
    »Also, ich bin Said«, meint der Beifahrer. »Meine Arbeit war okay. Nun habe ich gekündigt und kehre heim. Ich will nie wieder nach Libyen. Ich bin kein geborener Kellner. Obwohl ich meinen Job gut gemacht habe, ich verdiente ja gutes Geld. Das brauche ich auch dringend für die Hochzeit mit meiner Cousine, die in Kairo auf mich wartet. Sie studiert im letzten Semester irgendetwas, das ich nicht verstehe. Ich glaube, es heißt Soziali, weiter weiß ich nicht, vergesse diesen Begriff immer wieder.«
    »Soziologie?«, korrigiert der Lehrer auf der Rückbank.
    »Ja, Allah jnur alik! – Du hast es! Das studiert sie. Danke! Wie heißt du?«
    »Mansur.«
    »Ja, Monsieur Mansur, ich konnte nicht studieren. Als ältester Sohn meiner Familie musste ich mit zwölf Jahren die Schule verlassen und stattdessen meinem Vater helfen, die Familie zu ernähren. Wir arbeiteten in einer Bäckerei im Abdin-Viertel von Kairo. Wir sind sieben Kinder. Ihr wisst ja, ägyptische Frauen ficken wie die Kaninchen und gebären wie Katzen. Von allem viel und dann massenweise. Ficken und Kinder produzieren. Das ist das Einzige, was die Ägypter richtig gut beherrschen. Zu Hause herrscht unaufhörlich Kinderlärm. Die Wohnung wirkt wie das Reich einer Bienenkönigin. Alles summt und schwärmt. Aber nach einem Jahr im Ausland vermisse ich den Lärm der Kinder und alles dort.«
    Er lacht laut und schlägt sich mit der Hand auf den Schenkel. »Ich will meine Cousine heiraten. Vor Jahren haben wir besprochen, dass ich ein Jahr in Tripolis arbeiten und Geld sparen würde, sodass wir uns eine kleine Wohnung in Kairo leisten könnten. Aus diesem Jahr sind inzwischen fünf Jahre
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