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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik
Autoren: Abbas Khider
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nicht glauben! Der Stadionsprecher nannte die Namen der Fußballer nicht. Das gesamte Spiel über rief er nur die Trikotfarbe und die darauf gedruckte Nummer. Das hörte sich dann folgendermaßen an: Gelb-vier läuft zur Mittellinie und flankt einen Pass zu Gelb-acht. Rot-sieben fängt den Ball ab und leitet ihn weiter zu Rot-neun. Und so weiter. Ein Witz! Einer der libyschen Jungs, die mich ins Stadion mitnahmen, war vom Revolutionskomitee und erklärte mir, das wäre alles in Ordnung. Fußball sollten alle genießen, die Zuschauer genauso wie die Fußballspieler. Wenn die Namen der Fußballer ständig genannt würden, verschwänden die namenlosen Zuschauer und wären somit nicht mehr am Spiel beteiligt. Auf einem Fußballfeld gäbe es keine Helden und müssten auch keine Helden geschaffen werden. Das sei nur ein Spiel und müsse ein solches bleiben. Das Mitglied des Revolutionskomitees redete noch eine Menge mehr, was ich nicht verstand und irgendwann auch nicht mehr verstehen wollte. Seitdem habe ich nie wieder ein libysches Stadion betreten.«
    »Das hat sich inzwischen geändert, oder? Gaddafis Sohn spielt ja Fußball«, kommentiert Mansur.
    »Hier ändert sich andauernd etwas. Ja, einer seiner Söhne will Fußballer werden. Seinetwegen hat man ein neues Gesetz beschlossen. Mit einem Mal ist es gestattet, die Namen zu nennen. Es wäre doch undenkbar, den Sohn des Führers nur als Nummer und Farbe zu bezeichnen, oder?«
    »Gott, rette dieses Land!«, murmele ich.
    »Dieser Fußballersohn von Gaddafi soll aber harmlos sein«, mischt sich jetzt auch der syrische Fahrgast Najem in die Unterhaltung ein. »Ein anderer, jüngerer Sohn von Gaddafi soll der gefährlichere Mann sein. Sein Vater will ihn als Nachfolger installieren!«
    »Allah jnur alik! Du triffst den Nagel auf den Kopf!«
    »Mein Gott, in was für drolligen Ländern leben wir?«, fährt Najem fort. »Hier spielt der Sohn des Führers Fußball mit dem Volk, wie er will, und die Ergebnisse werden schon mal entsprechend angepasst. Bei euch in Ägypten ist es nicht viel anders. Bei uns in Damaskus ist der Präsidentensohn Baschar schon fast an der Macht. Sein Vater Al-Assad ist sterbenskrank und wird bestimmt bald tot sein. Möge Gott ihn am Ort der Verdammnis grillen! Wie soll man diese Regimes nennen? Familien-Republiken oder Erbdemokratien?«
    Der etwa dreißigjährige Syrer spricht kraftvoll, ernst und ist ziemlich wütend. Aus einem Etui zieht er eine Zigarette und zündet sie an. »Ich erzähle euch auch eine Geschichte.«
    »Gern! Leg los!«, erwidere ich fröhlich.
    »Seit Jahren arbeite ich in Mizdha. Eine Stadt, die den Begriff Stadt nicht verdient, wie viele Städte in Libyen. Das Zentrum besteht aus einer einzigen Straße mit einigen Cafés, Imbissbuden, Lebensmittelgeschäften und anderen Läden. Mittendrin steht das Regierungsgebäude, sechs oder sieben Stockwerke hoch. Darin sind alle Behörden untergebracht, von der Post bis zur Sicherheitspolizei. Das war’s. Das ist die Stadt. Sonst gibt es nur noch Wohnhäuser und die leere gelbe Erde.«
    »Die Stadt Tarhona, wo ich arbeite, sieht genauso aus. Dort gibt es aber immerhin Bäume und eine schöne Landschaft drumherum«, sagt Mansur.
    »Baum ist in Mizdha ein Fremdwort. Da gibt es nur Sand und Staub. In derselben Woche, in der Gaddafi entschied, Libyen sei nun ein afrikanisches Land und kein arabisches mehr, bekam ich eine Aufgabe, die mit der Baustelle nichts zu tun hatte, sondern mit Parolen. Der Leiter der Baustelle, der auch Syrer war, kam bei uns in der Wohnung vorbei. Um sechs Uhr morgens. Wir waren seine Arbeiter, zwei Syrer und ein Iraker. Er sagte, für diesen Tag gäbe es einen lohnenden Auftrag und wir sollten uns beeilen. Werkzeug sei unnötig. Neben ihm standen zwei bewaffnete Männer von den Arschlöchern des Revolutionskomitees, die ständig den einen Satz wiederholten: Schnell, Männer, bewegt euch!«
    »Spannend!«, sagt Said.
    »Wir bestiegen das Auto zusammen mit den Bewaffneten. Ich hatte Angst, ich weiß, was es bedeutet, sich mit Bewaffneten der Regierung in einem Auto zu befinden. Man steigt nicht ins Auto, sondern ins Nichts, betritt ein Niemandsland. Das kenne ich aus Syrien. Mein Bruder setzte sich einmal in ein solches Auto und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Wir haben nie erfahren, wohin man ihn gebracht hat. Na ja, so schlimm war es bei mir nicht. Sie befahlen uns, von den Wänden der Hauptstraße alle Plakate, auf denen das Wort ›arabisch‹ stand, zu
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