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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik
Autoren: Abbas Khider
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Amman transportiert, das Maliks Freund oder Geschäftspartner gehört. Die Lastwagenfahrer geben oder holen die Briefe dort ab. Dieser Freund verlangt aber pro Brief 200 Dollar. Niemals hätte ich gedacht, dass Briefsenden so teuer sein kann.«
    »200 Dollar? Fast 600 libysche Dinar? Ich verdiene nicht einmal 400 Dinar im Monat.«
    »So sind die Tatsachen.«
    »Das heißt, ich muss das Geld ausgeben, das ich in den letzten Monaten gespart habe. Und wie erreiche ich diesen Malik?«, fragte ich Jafer.
    »Wenn du möchtest, organisiere ich dir einen Termin mit ihm.«
    Zu diesem Treffen bin ich nun unterwegs. Ich hoffe sehr, dass dieser Malik wirklich geschäftstüchtig ist. Was soll ich tun, wenn er von der Sicherheitspolizei oder einer von den Maulwürfen ist? Dann habe ich den Brief und das Geld verloren und obendrein vermutlich die Aufenthaltserlaubnis in Libyen. Vielleicht bekommen die Libyer sogar heraus, dass ich hier mit einem gefälschten Reisepass lebe. Nein, er ist bestimmt ein richtiger Geschäftsmann. Im Exil leben unzählige Kreaturen, die an nichts anderes als an Geschäfte denken. Ohne diese Leute wäre das Exil die Hölle. Diese Figuren aber sind die Fachmänner der Hölle. Ohne die Mafia und solche Geschöpfe kommt ein Exilant nicht aus. Manchmal braucht man sie einfach, die Geldgeilen des Friedhofs, die einem das Leben im Grab erleichtern können.
    Was lernst du auf dieser verdammten Erde? Ist es so weit gekommen, dass ich daran glaube, die Mafiosi wären notwendig? Vielleicht sind sie es, nicht im Leben aller, wohl aber im Leben eines Exilanten. Der Brief steckt jetzt in meiner Hosentasche und wird noch heute versendet. Und mir ist vollkommen egal, ob Malik Mafioso, Maulwurf oder der Teufel ist. Für mich ist er einfach ein Postbote.
    Obwohl ich mich in diesem Brief an Samia wende, habe ich ihn nicht an sie, sondern eigentlich an mich selbst geschrieben. Ich bin vermutlich derjenige, den Emile Cioran meinte, als er sagte: »Nur der Schriftsteller ohne Leser kann sich den Luxus leisten, aufrichtig zu sein. Er wendet sich an niemanden, höchstens an sich selber.« Und diesen Brief habe ich für mich und das Nichts verfasst, weil er höchstwahrscheinlich seine Empfängerin nicht erreichen wird. Aber warum mache ich mir dann so viele Gedanken darüber? Ich habe doch, seit ich in Bengasi bin, aufgehört, alles begreifen zu wollen. Das sind unschätzbare Vorteile des Exils. Man erreicht eine Stufe völliger Gleichgültigkeit und nimmt die Dinge, wie man sie vorfindet. Das Nicht-Denken, die Gleichgültigkeit und die Leichtigkeit könnten auch ein Ort persönlicher Freiheit sein. Alles kann ein solcher Ort sein, sogar das Schreiben eines Briefes oder auch nur ein einfacher Stuhlgang. Was sagte Mustafa zu mir über die neue Gottheit, die er geschaffen hat? »Die Scheiße ist die einzige Göttin der guten Taten.« Ich erinnere mich immer noch lebhaft an ihn. Dabei bin ich ihm nur ein einziges Mal begegnet. Und auch nur für zwei Stunden. Mehr nicht.
    Mustafa traf ich in Bagdad, als ich in der Haftanstalt Rassafa saß. In jener winzigen, halbdunklen, feuchten, schmutzigen, stinkenden Gefängniszelle öffnete sich einmal die Tür, und die Wärter stießen einen Mann hinein. Er stand vor mir, regungslos wie ein 50-Kilo-Mehlsack. Ein brauner, kahlköpfiger Mann. Vermutlich um die dreißig Jahre alt. Unerwartet befand ich mich nicht mehr allein in der Zelle. Es war so gut, in jenem Loch wieder auf einen Menschen zu treffen. Der Ankömmling grinste. Seine großen schwarzen Augen wirkten zugleich fröhlich und verloren, als ob er von einem Dämon besessen wäre. Anfangs vermutete ich, er müsse verrückt sein. Mustafa war Mitglied einer verbotenen islamischen Partei. Mehr wollte er mir nicht mitteilen. Was er mir hingegen gern und ausgiebig erzählte, waren seine Erlebnisse im Verhörbüro wenige Minuten zuvor.
    »Das war unglaublich. Diese Verhörpolizisten sind Angsthasen, richtige Weicheier. Vor einem Jahr haben sie mich schon einmal verhört. Ich dachte, damit wäre alles vorbei, und ich müsse nur noch auf die Gefängnisstrafe warten. Jetzt haben sie meine Akte wieder herausgekramt, weil irgendjemand meinen Namen erwähnt hat. Aber bevor ich dir von heute berichte, hör erst von damals, von den ersten Verhörtagen. Vor einem Jahr wusste ich, die Foltermethoden würde ich nicht lange ertragen können. Wenn sie mich immer weiter und grausamer quälten, würde ich vermutlich alles preisgeben und einige Namen meiner
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