Brennende Schuld
Mobiltelefon klingelte.
Es war Elena.
»Ich hatte gerade einen Anruf aus dem Untersuchungsgefängnis«, hörte er ihre Stimme. »Jaume Prats hat sich in seiner Zelle erhängt.«
Costa glaubte, sich verhört zu haben. »Prats hat sich erhängt?«
»Vor einer Stunde haben sie ihn gefunden.«
Costa konnte es nicht fassen und wollte die Einzelheiten wissen. Laureana Sanchez hatte die Arme sinken lassen, in der einen Hand das Messer und in der anderen die Figur. Sie stand völlig regungslos.
Für eine Sekunde brannte sich ihr Blick in seine Augen. Die Racheengel des Alten Testaments mochten diesen Ausdruck gehabt haben, wenn sie auf göttliches Geheiß den Feuersturm der Vernichtung über die Welt brachten, dachte er. Eine Welt ohne Vergebung und Erbarmen.
Dann legte sie das Messer beiseite, öffnete den Knoten, in den sie ihr Haar gezwungen hatte. Bis über die Hüften umhüllte es ihren Körper, und sie verwandelte sich in ein kleines glückliches Mädchen, das ihren Vater erlöst hatte. Glücklich lachte sie Costa an, hob schelmisch die Figur, an der sie geschnitzt hatte, und warf sie in den Papierkorb.
»Haben Sie jetzt das Versprechen eingelöst, das Sie Ihrem Vater gaben?«, fragte er.
»Ich halte meine Versprechen immer.«
»War es das wert, weitere fünf Unschuldige sterben zu lassen?«
»Unschuldig war nur Papi.«
In diesem Moment kam die Rothaarige herein und sagte, mit einem hinreißenden Lächeln zu Costa, auf die Direktorin warte ein dringender Anruf, es sei jemand von der UNESCO, aber das Gespräch lasse sich nicht durchstellen, irgendetwas an der Anlage sei wieder defekt.
Costa ahnte Unheil, ging schnell auf sie zu, schob sie hinaus und zischte ihr zu, sie möge sofort ans Telefon gehen und die Polizei anrufen, es sei ein Mord passiert.
Er hatte Recht, sie gehorchte ohne Widerworte und verschwand.
Als er sich wieder Laureana Sanchez zuwandte, war sie verschwunden. Ihm war, als würde er den Abdruck ihrer Energie in dem Raum noch wahrnehmen, aber ihr Körper war weg.
Das Zimmer, in das sie geflüchtet war, diente als Besprechungsraum. In der Mitte stand ein langer Holztisch, umgeben von zwölf Stühlen mit hellen Leinenbezügen und einer großen Vase, die umgestürzt war. Karin saß auf dem römischen Sofa an der Längswand und hatte darauf gewartet, dass die Sanchez zurückkäme, um das Interview fortzusetzen. Diese saß an ihrer rechten Seite und hatte das Messer gezückt, das sie Karin jetzt an die Kehle hielt. Auf der anderen Seite lag Karins kleines Diktiergerät.
Im Raum herrschte vollkommene Stille. Costa sagte so freundlich wie möglich: »Señora Sanchez, ich würde gerne mit Ihnen alleine sprechen.« Er machte einige Schritte von der Tür um den Holztisch herum, aber sie verlangte, dass er nicht näher komme.
Er stand nun am Kopfende, die großen Fenster zum Garten hinter sich, so dass das Licht auf die beiden Frauen fiel und sie von ihm nur die Silhouette sahen.
Karin wagte nichts zu sagen und rührte sich nicht. Sie trug ein weiß-gelbes Sommerkleid, weit ausgeschnitten am Hals und mit sehr kurzen Ärmeln. Ihre Haut war goldbraun, die von der Sanchez grau-weiß, und beide bildeten ein Figurenensemble, als ob sie gerade einem Maler Portrait saßen. Blödsinnigerweise fiel Costa dazu sogar ein möglicher Titel ein – Aufrecht sitzendes Liebespaar vor weißer Wand. Neben dem römischen Sofa stand eine große Vase mit blutroten Amaryllis, und das altblaue Baumwolljackett der Sanchez schien von dem imaginären Maler für diesen Komplementäreffekt speziell ausgesucht. Dazu trug sie hautenge Jeans unter grauen Lederstiefeln. Sie hatte das rechte Bein übergeschlagen und sich zu Karin hingewandt, um besser den Schnitt oder Stich mit dem Messer ausführen zu können. Karin hatte die Hände auf die Knie gelegt, ihr ganzer Körper drückte Anspannung aus. Den Kopf hielt sie in die Höhe gereckt, so als könnte sie dadurch dem Tod entgehen.
»Señora Sanchez, Sie brauchen Karin nicht, Sie können alles mit mir besprechen und regeln.«
»Ich werde Ihre Freundin jetzt mitnehmen, und wir werden beide die Insel verlassen.« Ihre Hände zitterten, und Costa sah Schweiß auf ihrer Stirn. Er konnte den Geruch von Furcht im Raum wahrnehmen. Vielleicht war es die Ausdünstung seiner eigenen Angst, denn ihm fiel ein, dass in ihrer Biografíe alles von Tatkraft zeugte. Was immer sie sich vorgenommen hatte, würde geschehen. Aus ihrer Sicht war er nur eine Figur in einem Spiel, doch eine Figur
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