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Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Ausrufezeichen und fügte hinzu, die Dauerwelle auf dem Foto habe der Mutter überhaupt nicht gestanden. Sie verzauberte sie in einen französischen König mit einer schwarzen Lockenperücke. Und dann noch die lange Königsnase!
    Indem sie die Aufmerksamkeit auf die Kritik an der Frisur der Mutter lenkte, versuchte sie der schmerzlichen Sensation zu entkommen, die diese Entdeckung – Onkel Jaume! – für sie bedeutete. Immer wieder starrte sie auf das Paar, dessen unbekümmerte Verliebtheit belegte, dass das Foto nicht auf Ibiza aufgenommen worden war, sondern irgendwo, wo sie nicht entdeckt werden konnten. Das jedenfalls meinte sie und suchte das Foto genau mit den Augen ab, ob sie irgendwo einen Hinweis fände, wo diese Aufnahme gemacht worden war. In Madrid? In Barcelona, London oder Paris?
    Vor allem wunderte es sie, dass sich in den Zügen der beiden, in ihrer Haltung und in ihren Augen nichts von der Energie des Bösen finden ließ, von der sie so vollkommen beherrscht wurden und die sie von Anfang an zusammengeführt hatte, wie sie glaubte, um dann das Leben der Familie mit ihrem Papi zu zerstören.
    Von diesem Moment an hasste sie Fotografien; sie argwöhnte, dass es die Unvoreingenommenheit der Fotografie wäre, die den in einem winzigen Moment festgehaltenen Menschen eine solche vollkommene Ahnungslosigkeit und Naivität verlieh. Noch scheinen sie an der Zukunft unschuldig zu sein, auch wenn die Mutter in ihrer weißen Bluse, mit dem Veilchenstrauß in der Hand und Onkel Jaume am Arm, unschuldig lächelnd, wusste, dass sie ihren Papi vernichten würden. Man sieht es ihnen auf diesem Foto nicht an, schrieb sie in ihr Tagebuch.
    Wie wird bloß alles enden?
    Diese Frage beschäftigte sie den ganzen Heimweg über.
    Als sie den Schlüssel in die Handtasche zurücksteckte, riss sie ein winziges Eckchen von dem Foto ab und ließ es mit hineinfallen.
     
    Weil sie in der darauf folgenden Nacht aufpasste, dass die Glühbirnen um den Spiegel an ihrem Kleiderschrank leuchteten, damit ihr Papi jederzeit zu ihr kommen konnte, wachte sie am Morgen erst spät auf, durstig und verschwitzt. Als sie sich aus dem Bett lehnte, um die Flasche Orangensaft zu nehmen, die sie abends neben das Kopfende auf die Erde gestellt hatte, flogen ihr fünf Fliegen ums Gesicht. Also war wieder jemand in ihrem Zimmer gewesen, und sie hatte es nicht bemerkt! Sie tastete den Boden ab und sah, dass er mit etwas Gelbem und Klebrigem bedeckt war. Jemand hatte von ihrem Orangensaft getrunken und etwas verschüttet. Nicht nur etwas, denn die Flasche war fast leer.
    Sie nahm ihr Notizheft, um ihre Beobachtung zu notieren, als ihre Mutter hereinkam. Sie klappte das Buch schnell zu und steckte es unter die Decke.
    Die Mutter verzog ihren dunkelroten Mund und setzte sich auf die Bettkante.
    »Was machst du?« Sie starrte auf die Bettdecke, dort, wo das Notizheft war.
    »Nichts«, sagte sie und presste mit beiden Händen das Heft gegen ihren Bauch.
    »Was schreibst du?« Sie seufzte und sah aus dem Fenster. Sie trug jetzt ein weißes breites Band um ihren Haaransatz, weil er ausgedünnt war.
    Seitdem ich ihre Pillen ausgetauscht habe, isst sie kaum etwas.
    »Nichts. Ich schreib bloß.«
    Die Mutter riss ihr das Laken weg, warf sich mit dem Oberkörper auf sie, packte das Schreibheft und entriss es ihr. Sie setzte sich wieder auf und drehte ihr den Rücken zu. Sie blätterte im Heft und las darin.
    Der Überfall hatte ihr Herz heftig schlagen lassen, aber als sie hinter dem Rücken ihrer Mutter lag, wurde sie ganz ruhig. Sie verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf, streckte sich aus und sah gelangweilt zur Decke.
    Nach einer Weile sagte die Mutter: »Er hat sich umgebracht.«
    Sie stand auf und riss einige Seiten aus dem Heft, sah ihre Tochter kopfschüttelnd an und sagte: »Wir haben ihn nicht ermordet.«
    Dabei betonte und dehnte sie das letzte Wort. Sie warf ihr das Heft an den Kopf und verließ das Zimmer.
     
    Die Mutter starb am Samstag, den 12. November 1974, fast auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Tod ihres ersten Mannes. Sie wurde nicht neben ihm beigesetzt, sondern in der Familiengrabstätte der Prats. Auf der anschließenden Feier lagen Jugendfotos von ihr aus. Welch tief greifende Wandlung sie durchgemacht hatte! In ihrer Kindheit war ihr Gesicht glatt und rund, fast pausbäckig gewesen, in der Totenmaske erschien es jetzt lang und oval. Besonders in der letzten Zeit hatten sich Runzeln wie Unkraut vom Kinn bis zum Haaransatz

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