Brennende Schuld
Dämmerung.
Laureana Sanchez stand am Schreibtisch vor dem Fenster. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und sprach mit jemandem. Costa meinte, sie telefoniere und benütze ein um den Hals gehängtes Mikrofon. Sie machte aber keine Pausen, um zuzuhören, sondern rezitierte etwas, Texte in einer Sprache, die Costa nicht verstand. Es klang wie raues Italienisch, angereichert mit arabischen Kehllauten. Sie schien ihn noch nicht bemerkt zu haben. Ihr Haar war straff hinter dem Kopf zusammengerafft, die »Frisur der Heiligen Isabella von Kastilien«, wie Karin es in einem Artikel genannt hatte.
Als sie ihn bemerkte, lächelte sie ihn an wie ein Kind, das von den Eltern beim heimlichen Singen ertappt wurde.
»Ich habe Sie gar nicht hereinkommen hören.« Sie deutete auf die Schriftrollen, die vor ihr lagen. »Diese Fragmente enthielten den Schlüssel, der meinen Vater nach Es Culleram geführt hat. Man sagt, sie stammen von der gesunkenen Galeere vor Isla de la Conejera, auf der Hannibals Mutter ihren Sohn gebar.«
Sie hob die Schriftstücke vorsichtig vom Schreibtisch und verstaute sie in festen Plastikfolien. »Ibiza ist älter als alles, was du siehst.«
Sie öffnete die Schublade des Tischs und nahm wie beiläufig etwas heraus. Da Costa der Überzeugung war, dass sie niemals etwas beiläufig tun würde, sah er genau hin und erkannte einen jener berüchtigten Krummdolche in ihrer Hand, die die Ibizenker cuchilla nannten.
»Es ist doch interessant, nicht wahr? Körperliche Krankheiten können heilen, nicht aber unsere inneren Wunden.« Sie griff nach einem Stück Holz und begann zu schnitzen. »Was also, Señor Costa, könnte der Grund Ihres Besuches sein? Die Verhaftung meines Stiefvaters? Falls Sie mich trösten wollen, das ist nicht nötig.«
Costa ließ ihre Hände nicht aus den Augen. »Ich will Sie nicht trösten. Sie hatten Recht. Die Verhaftung Ihres Stiefvaters war ein Fehler.«
»Ich habe immer Recht«, sagte sie lächelnd.
»Sie meinen, weil Sie wussten, wer der Mörder dieser fünf Menschen ist?«
»Wenn ich das wüsste, hätte ich ihn dir schon längst genannt, Toni.«
Sie duzte ihn. Sie hatte es zwar schon einmal getan. Was würde nun kommen?
Span um Span fiel zu Boden. Aus dem Holzstück schälten sich Konturen, und er fragte sich, wann der Strick um den Hals der kleinen Figur erkennbar sein würde.
»Dann sind Sie also hier, um die fragwürdigen Thesen, die Sie mir während unserer Autofahrt vorgetragen haben, mit einer neuen Schlussfolgerung zu krönen«, fuhr sie fort. »Wen haben Sie jetzt im Visier, Teniente Costa?«
»Sie.«
Costa sagte es nicht sehr laut, aber die Stille im Raum verlieh der einen Silbe mehr Resonanz, als ihm lieb war.
Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte, auf jeden Fall kein genießerisches Schmunzeln.
Dann schüttelte sich ihr Körper, der Dolch blitzte in ihrer Hand, sie warf den Kopf zurück und lachte. »Toni, oh Tonilein, was erzählst du nur? Willst du mir Angst machen? Wie einst mit der Geschichte von den fünf Fischern, die bei einem Sturm über Bord gegangen sind? Wer hat dich auf so einen Schwachsinn gebracht? Mein Stiefvater etwa? Oder sein Anwalt, Monsieur Campaña?«
Sie warf sich in Pose. »Hohes Gericht, Dr. Laureana Sanchez, die bekannteste Archäologin Spaniens, weltweit anerkannte Expertin auf dem Gebiet der iberischen Frühgeschichte, hat während ihrer ausgefüllten Arbeitstage dennoch Zeit gefunden, unter ihrer Ausgrabungsstätte auf Ibiza drei Menschen grausam zu töten, die halbe Insel in Brand zu stecken, mit einem Löschflugzeug Kerosin abzuwerfen und ihren geisteskranken Handlanger in die Luft zu sprengen.« Ihre Campaña-Parodie gab seine abgezirkelten Handbewegungen wieder, bei denen ihr Messer die Luft durchschnitt; das Hervorschnellen seines Kopfes, als wäre er ein Raubvogel, der ein Stück Fleisch aus der Beute hackt, und die pathetischen Melodien seiner Sätze. »Natürlich haben wir keinen Beweis gegen sie, verehrtes Gericht, kein Indiz, das auf sie deutet, nicht einmal einen Fingerabdruck, geschweige denn ein Motiv, aber dennoch werden Sie meiner Fantasie Glauben schenken.« Sie brach in höhnisches Lachen aus. »Würde ich so arbeiten wie Sie, wären jetzt auf dem Gelände hier drei Supermärkte.«
Er kam sich lächerlich und abgekanzelt vor. Sie hatte in allem Recht, was aber nicht hieß, dass sie nicht die Person war, die er suchte. Er wollte sie gerade nach ihrer Beziehung zu Cayetano Herrera fragen, als sein
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