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Brennende Schuld

Brennende Schuld

Titel: Brennende Schuld
Autoren: Burkhard Driest
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prolog
    Früh am Morgen war die Luft noch kühl. Mit hochgekrempelten Hosenbeinen stand er im flachen Wasser. Sein Blick folgte den silbrigen Reflexionen der Wellen. Seine Hand schnellte nach vorne und packte den roten Panzer. Die kleinen Beine des Krebses zappelten, als er ihn zu den anderen in den Korb warf.
    Schon vor der Morgendämmerung war er vor Aufregung aufgewacht. Seine Eltern wollten heute mit ihm zur Beerdigung fahren – und das Mädchen mit den Zöpfen würde auch dort sein. Wenn er schon groß wäre, würde er sie heiraten, aber als er sie das letzte Mal getroffen hatte, glaubte sie ihm nicht, dass er Krebse fangen konnte. Sie lachte ihn aus und brachte ihn damit fast zum Weinen. Er hatte Fäuste und Zähne zusammengepresst und sich geschworen, ihr das zu beweisen.
    Ihm war ganz schwindlig vor Glück, denn er hatte schon elf Stück.
    Auf der anderen Seite des Wassers teilte sich das Schilf. Seine Mutter befahl ihm, sofort zu kommen, die Beerdigung beginne um zehn. »Dein Hemd ist schmutzig, und die Hose habe ich auch umsonst gebügelt. Wo sind deine Schuhe? Mach jetzt!«
    Eine Beerdigung war ein Familienfest, da musste man pünktlich, gekämmt und sauber angezogen erscheinen.
    Er quetschte seine nassen Füße in die Lederschuhe, schnappte den Korb mit dem wimmelnden Getier und rannte zur Brücke. Beim Laufen überlegte er, wer gestorben war, aber es fiel ihm nicht ein. Nur das Mädchen mit den Zöpfen interessierte ihn. Er sah sie schon vor sich, wie sie in seinen Korb schaute und dann zugeben musste: »Es stimmt, du kannst Krebse fangen.«
    Er konnte seine Mutter sehen, wie sie die Blumen auf dem Rücksitz verstaute und das große Holztor der Schreinerei verschloss, über der ihre Wohnung lag. Nun setzte sie sich auf den Beifahrersitz des VW-Käfers und schminkte sich, während sie auf ihn wartete. Der Vater ließ den Motor aufknattern und hupte dreimal, was ihn aus seinen Gedanken aufscheuchte.
    »Du willst doch wohl nicht die Krebse mit in die Kirche nehmen?« Resolut entrang ihm seine Mutter den Korb und brachte ihn in die Werkstatt.
    Hilflos sah er zu, wie die Mutter seinen Plan zerstörte. Traurig hauchte er die Scheibe an und malte einen Mädchenkopf mit Zöpfen hinein.
    Dann wand er behutsam seine halb geöffnete Hand aus der Hosentasche und setzte den kleinen Krebs auf das Plastikpolster. Er stellte sich ihren Gesichtsausdruck vor, wenn er ihr das Tier auf die Handfläche setzen würde. Das war noch besser als im Korb. Der Krebs spazierte zu den Blumen.
    Es war eine lange Fahrt. Als sie vor der kleinen weiß getünchten Kirche hielten, vor der sich die Trauergesellschaft versammelt hatte, sagte seine Mutter: »Wir sind natürlich wieder mal die Letzten.«
    Er entdeckte Margarita, eine dünne Frau mit ovalem Gesicht und einer Nase wie die Hexen in seinen Märchenbüchern. Sie trug ihr Haar wie eine Königin zu einem dicken schwarzen Knoten gebunden und nickte ihnen kurz zu. »Eine bescheidene Person«, sagte seine Mutter beim Aussteigen.
    Er kletterte aus dem Auto, und sein Herz schlug laut. Er zog die Augenbrauen zusammen, als könnte er sie dadurch in seinen Blick zwingen.
    Oma Josefa redete auf Margarita ein, und dann sah er sie. Ihm wurde heiß, er fühlte den Krebs zappeln, und am liebsten wäre er gleich hin, aber da standen schon andere um sie herum. Erst seine Großtante Turia, dann Onkel Joan und nun auch noch die ganzen Planells, Lucas mit Frau Soledad, Bruder und Schwägerin des Toten, und ihre Kinder Mateo und Lola.
    Beim Strandfest zum Geburtstag seines Onkels Joan hatte er sich ihr genähert. Ihr gelangweilter Blick zeigte ihm, dass er für sie nicht zählte. Er hatte zu zittern begonnen und ihr von den Krebsen erzählt. Sie hatte gelacht: »Du hast Angst vor Krebsen.«
    Als sie sich endlich in die Kirche drängten, stahl er sich von seinen Eltern fort und versuchte, den Platz neben ihr in der ersten Reihe zu bekommen, aber sein Cousin Rafal packte ihn am Nacken und schob ihn in die Reihe vor sich. Eigentlich mochte er Rafal, aber jetzt hasste er ihn, weil er nicht stark genug war, sich gegen ihn zu wehren.
    »Im Januar gehe ich zur Guardia Civil«, flüsterte ihm Rafal ins Ohr. »Und dann krieg ich ein Motorrad.«
    Das Mädchen in der ersten Reihe schaute zu ihm. Sein Nacken brannte: Sie erinnerte sich. Vielleicht würde sie nach der Kirche auf ihn warten. Dann könnte er ihr den Krebs geben.
    Der Pfarrer sprach einen Psalm und schwenkte seinen Arm zum Sarg des
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