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Brans Reise

Titel: Brans Reise
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Menschen warten, die Schutz vor dem Wind suchten. Bran richtete seinen Blick auf die letzte Hütte des Lagers. Er sah den Rauch der Feuerstelle hinter den Steinmauern und atmete tief durch. Erst jetzt wurde ihm klar, warum er sich an diesem Wettschwimmen beteiligt hatte. »Er will es so«, hatte Turvi gesagt. »Kragg hat durch die Träume zu euch gesprochen und euch Zeichen gegeben. Noj meint, wir sollten Berav entscheiden lassen, wer sein Nachfolger werden soll und wohin wir segeln sollen. Denn Berav ist der Mann unter den Wellen.«
    Bran legte seine Hand auf die steinerne Mauer. Er hatte selbst mitgeholfen, die Steine vom Strand hierher zu tragen, so dass Noj, auch wenn es stürmte, im Freien liegen konnte. Doch Noj war schon lange nicht mehr dazu in der Lage. Bran schob das Fell vor der Türöffnung zur Seite, duckte sich und trat in die Hütte.
    »Bran…« Vianis warme Stimme sprach zu ihm. »Du bist es also. Komm her, lass Noj dich spüren.«
    Bran blinzelte sie angestrengt an, bis sich seine Augen an das Dunkel gewöhnten. Die alte Frau saß an ihrem üblichen Platz auf dem Fell unter dem Pfeilköcher. Er erkannte die Kräuter unter der Hüttendecke, getrocknete Wurzeln und Blätter, die die Frauen in der Hoffnung, es möge helfen, auf der Ebene und in den Wäldern gesammelt hatten. Jetzt erkannte er auch die Decken, die die Seitenwände verkleideten, und die Holzfiguren, die Turvi geschnitzt hatte.
    »Komm…« Viani lächelte und winkte ihn zu sich. Dann lehnte sie sich über den Berg von Fellen und Decken und flüsterte: »Bran ist es geworden. Er hat von dem südlichen Kurs geträumt. Er ist jetzt hier.«
    Ein leises Stöhnen drang aus den Decken, und eine Hand streckte sich Viani entgegen. Sie legte sie auf ihre Schulter und umarmte die Gestalt auf dem Lager. Mit einer Geschmeidigkeit, die von langen Monaten der Pflege kündete, hob sie Nojs Oberkörper an, lehnte ihn an ihren Schoß und stützte seinen Kopf mit einer zusammengerollten Decke. Bran kroch zu ihm vor. Ein Geruch von Schweiß und Talg entstieg den Pelzen. Noj hob seine gesunde Hand und Bran führte sie zu seinem Gesicht. Vorsichtig strichen Nojs Finger über Brans Mund und Nase und über seine Stirn bis in seine nassen Haare. Dann glitten sie an der Schläfe hinab und verharrten an seinem rechten Ohr.
    »Bran…«, flüsterte Noj. »Du warst tapfer, als die Vokker uns angriffen. Das weiß ich noch.«
    Viani wischte die Tränen weg, die aus Nojs geschlossenen Augen rannen. Sie befeuchtete ein Tuch in einem Fass, das neben ihr stand, und legte es über die weiße Narbe, die seinen kahlen Schädel zerschnitt.
    »Auch du hast die Kraft der Riesen zu spüren bekommen.« Seine Hand rutschte auf Brans rechte Schulter hinab. »Aber du bist immer so stark gewesen, Bran. Nicht einmal eine Vokkerkeule vermochte deinen Hals zu brechen.«
    »Ich habe getan, was ich konnte, Häuptling. Kragg hält seine schützenden Flügel über mich.«
    Er spürte, wie sich Nojs Hand zusammenzog. Sein faltiges Gesicht verzerrte sich, während die Krämpfe seinen Körper durchzuckten. Viani streichelte ihm über den Bart und flüsterte Worte, die Bran nicht verstehen konnte. Dann lösten sich die Krämpfe und Noj ließ seine Hand auf die Decken fallen.
    »Karain«, keuchte Noj. »Ich habe ihn verlassen. Der Vogelmann ist zu uns gekommen, und ich habe ihn verlassen. Immer wieder frage ich Kragg. Warum führt er uns in fremde Länder? Warum tut er das, Viani?«
    Wieder begannen Tränen aus seinen Augen zu rinnen. Viani wiegte ihn in ihrem Schoß.
    »Jetzt ist es bald vorüber. Ich werde dorthin gehen, wo Kirgit ist. Ich freue mich, Viani! Denk doch nur, ich werde unsere Tochter wiedersehen! Ich werde ihr erzählen, was wir alles getan haben, seit…«
    Seine Worte erstickten in den Schmerzen, die wieder durch seinen Körper zuckten. Bran ergriff seine Hand, während Viani das Tuch befeuchtete. Dann rang Noj nach Atem und lag still da. Er öffnete die Augen und starrte Viani ins Gesicht.
    »Wie viel wollte ich dir noch sagen! Wie gern wäre ich noch länger bei dir! Doch jetzt muss ich fort, und ich weiß, dass du mir dereinst folgen wirst. Ich verstehe nicht… warum habe ich solche Angst, Viani?«
    »Du brauchst keine Angst zu haben. Denk doch nur an Kirgit; sie hatte keine Angst.«
    Noj seufzte und legte seinen Kopf auf die Seite. Bran beugte sich zu ihm hinunter, denn die Stimme des Alten war sehr schwach.
    »Leg meine Hand auf dein Gesicht.«
    Bran tat, um was Noj
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