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Brans Reise

Titel: Brans Reise
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Narbe, die sich an der rechten Seite seines Nackens emporreckte. Sie endete an dem zur Hälfte abgerissenen Ohr und glänzte weißlich im Regen.
    Der junge, fast nackte Mann heftete seinen Blick auf die Menschen, die sich hinten am Strand am Fuß der Dünen versammelt hatten. Alle waren sie da: Frauen, Kinder und Männer. Sie kauerten sich unter ihren ledernen Umhängen zusammen und hatten wollene Decken um ihre Leiber geschlungen. Er wusste, dass sie warteten. Berav sollte heute zu ihnen sprechen. Er sollte eine Entscheidung treffen. Jetzt humpelte Turvi, der Einbeinige, vor. Er blieb ein paar Schritte vor den anderen stehen, stützte sich auf seine Krücke und zog sein Schwert aus der Scheide. Als er es anhob, krümmte sich der junge Mann wie ein Wolf, der bereit war, seine Beute anzuspringen. Rasch warf er einen Blick zur Seite auf die beiden anderen Männer, die jetzt ins Wasser hinauswateten. Velar hatte seine hellen Haare wie eine Frau hochgebunden. Seine Muskeln sahen wie die Maserungen auf dem Holz der Bögen aus. Der andere Mann, Hagdar, hatte schwarze Haare und trug einen Bart. Er hatte seine starken Arme über den Kopf gehoben, bereit, sich mit all seiner Kraft ins Wasser zu stürzen. Als die Wellen ihre Knie umspülten, drehten sie sich halb zu dem Einbeinigen um.
    Der junge Mann tat es ihnen gleich. Sogar noch von seinem Platz aus konnte er erkennen, wie Turvis Hände zitterten. Er sah die Falten auf dessen Gesicht und die vor Erwartung und Furcht leuchtenden Augen.
    Da ließ der Einbeinige das Schwert plötzlich fallen. Der junge Mann stürzte sich ins Wasser, seine Arme schossen nach vorn und vollführten die Bewegungen, die sie so oft trainiert hatten. Er sah Velars Füße in einer Welle verschwinden, ehe er selbst spürte, wie das Wasser seinen Körper umspülte. Er schluckte Salzwasser, stieß sich mit den Beinen ab und ließ seinen Körper von der Strömung aufs Meer hinaustragen. Dann wurde er nach oben gedrückt und bekam den Kopf über Wasser. Als die nächste Welle über ihm brach, holte er tief Luft, schwamm mit der Strömung und kam wieder an die Oberfläche. Erst jetzt spürte er, wie hoch die Wellen waren. Als er zum dritten Mal emporgehoben wurde, drehte er seinen Kopf und sah, dass er bereits gut einen Steinwurf vom Strand entfernt war. Auch Hagdar konnte er sehen, der nicht weit von ihm entfernt an seiner linken Seite nach Luft schnappte. Velar war nicht zu sehen. Er drehte sich um, während ihn die Strömung forttrug. Hier draußen war das Wasser kälter, doch die Wellen waren nicht mehr so schroff wie am Land. Hier musste er zu schwimmen beginnen. Nach rechts, das wusste er noch. Er musste gegen die südliche Strömung ankämpfen, um direkt zur Schäre zu kommen.
    Bald schon begann sein Körper vor Anstrengung zu brennen, und er spürte, wie seine Brust schmerzte. Er brauchte Luft, aber die Dünung erlaubte ihm nur, auf der Spitze einer jeden Welle zu atmen. Da sah er Velar. Er klammerte sich an etwas Graues dicht vor ihm. Das war die Schäre.
    Der junge Mann zwang seine Beine, noch schneller zu treten, und legte noch mehr Kraft in seine Armzüge. Etwas Glattes strich über seine Füße, aber dieses Mal ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen, wie beim ersten Mal, als er hierher geschwommen war. Der Tang sagte ihm nur, dass er sich den Muscheln näherte, die auf der Schäre wuchsen, und so tauchte er unter und schwamm mit geöffneten Augen weiter. Seegras wogte in der Strömung des klaren Wassers. Er packte einen der langen Tangarme, zog sich nach unten und griff nach dem nächsten, um sich weiterzuziehen. Sein Kopf begann unter dem Druck zu schmerzen, doch jetzt sah er die Muscheln. Sie klebten wie dicke, weiße Schilde am Meeresboden. Er klammerte sich mit einer Hand an der Wurzel des Tangs fest, während sich die andere an den Muscheln entlang tastete. Er fand an dieser Stelle keine, die klein genug war. Jetzt begann sein Kopf zu summen, als wohne ein ganzer Bienenschwarm in ihm, und seine Brust drohte zu zerreißen. Doch in diesem Moment spürte er etwas, eine Muschel, kleiner als die anderen. Er löste das Messer von seinem Gürtel, bohrte die gekrümmte Klinge zwischen die weißen Schalen und durchtrennte die Fasern, mit denen die Muschel am Boden festhing. Dann ließ er den Tang los und strampelte auf das Licht über dem Wasser zu. Es war tiefer, als er geglaubt hatte, und die Strömung schien Freude daran zu haben, ihn unter Wasser zu drücken. Doch dann hörte er wieder das
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