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Brans Reise

Titel: Brans Reise
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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schlief auf der anderen Seite der Feuerstelle im Luftzug, der durch die Türöffnung hereindrang. Wieder wurde die Hütte von einer Windböe gepackt. Der Regen hämmerte gegen die kümmerlichen Wände.
    »Das hört sich an wie Pfeile«, flüsterte Dielan. »Wenn der Regen auf das Dach trommelt, meine ich.«
    »Ja.« Bran krümmte sich am Feuer zusammen. »Wie Pfeile.«
    Wieder wurde es still. Dielan legte eine Hand voll getrockneten Tang aufs Feuer und warf seinen Umhang ab, um ihn über die Schnur unter der Decke der Hütte zu hängen. Dann löste er die Riemen seiner Fußfelle.
    »Ich lege mich hin.« Er stopfte dürres Moos in die Fußfelle, damit sie trockneten, und kroch unter die Decke. Bran sah, wie sich seine Hand unter dem Stoff vortastete, über Gwens Hüfte strich und sich dann auf ihre Brüste legte. Sie schnurrte wie eine Katze und Dielan antwortete mit einem grunzenden, zufriedenen Laut. Das taten sie jeden Abend, bevor sie sich zur Ruhe legten. Manchmal beneidete er seinen Bruder, eine Frau zu haben. Doch nicht an diesem Abend. Denn durch den Regen und den Wind hörte er noch immer Vianis Weinen.
    Bran zog sich aus und legte sich unter seine Decke. Er war müde. Seine Schultern taten weh und auch die Schmerzen im Kopf waren noch nicht besser geworden. Er zwang das ewige Sausen in seinen Ohren dazu, den Stimmen des Sturms zu weichen, denen er lauschte, während er auf den Schlaf wartete.
     
    Auch in dieser Nacht kamen die Träume zu ihm. Er drehte und wendete sich unter seiner Decke, redete im Schlaf und fasste sich beständig an die Stirn.
    »Lawinen«, murmelte er. »Kraggs Warnung… der Schnee schmilzt…«
    Dielan wachte in der Regel auf, wenn Bran damit begann, und dann drehte er ihm den Rücken zu und zog sich die Decke über die Ohren. Er kannte die Geschichte, die die murmelnden Worte seines Bruders erzählten, aber die Erinnerungen waren so schmerzhaft für ihn, dass er sie nicht hören wollte. Bran war mit seinen Träumen allein und er träumte sich zurück in die Felsenburg, dem Zufluchtsort, in dem sein Volk seit Urzeiten heimisch gewesen war, roch den Rauch der Feuer und den schmelzenden Schnee. Er spürte, wie der Schweiß unter seinem Hemd herabrann, und war wieder in der Hütte seines Vaters. Dort warf er die letzte Ladung Holz auf den Schlitten und schaute tief ausatmend den felsigen Hang empor. Vor ihm lag der schmale Talboden, auf dem die Schafe wie dreckig gelbe Wollknäuel auf dem fleckigen Schnee zusammengelaufen waren. Unmittelbar hinter ihnen erhob sich die Felswand. Sein Blick folgte den Schneeverwehungen hinauf bis zu den wolkenverhangenen Gipfeln. Der Wind war jetzt warm und die Eiszapfen am First tropften. Er sah zu den Felswänden hinauf, die das Dorf umgaben. Seit Generationen hatten diese Wände sie gegen die Völker geschützt, die auf der Ebene lebten. Seit Generationen hatte sich das Felsenvolk aus den Kalanen, diesen Aussichtskammern, die irgendwann einmal quer durch die schmalen Felsen gehauen worden waren, verteidigt. Er sah die Steintreppen, die weit dort oben über den Hütten zu den Felsöffnungen emporführten. Und noch weiter oben, über den Gipfeln der Felsen, sah er, was sie alle hatte verstehen lassen, dass die Warnung des Vogelmannes berechtigt war: Die Vögel, die immer über dem Tal kreisten, waren verschwunden.
    »Beeil dich, Bran!« Vater legte das Zaumzeug über den Pferderücken, während er sprach. »Hol die Kornsäcke. Und vergiss die Pfeile nicht.« Er drückte die Trense zwischen die Zähne des Pferdes, packte die Zügel, hastete zum Bock zurück und reichte sie Mutter, die dort bereits Platz genommen hatte.
    Bran drehte sich um und stieß in der Tür auf Dielan. Der Bruder hatte den Arm voller Pelze. Gwen folgte ihm, einen Krug in jeder Hand. Bran machte ihnen Platz und huschte dann in die Hütte. Neben dem Kamin schulterte er den Kornsack und ging dann zurück, nahm den Pfeilköcher, der neben der Tür stand, und trat rasch wieder nach draußen. Er warf den Sack zu Dielan hoch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Schlitten standen in einer langen Reihe vor den Hütten, beladen mit Pelzen, Kornsäcken, Kindern und Frauen. Die Männer hatten sich auf den Böcken aufgerichtet; so zeigten sie, dass sie bereit zur Abfahrt waren. Bran löste seinen Umhang und legte ihn Gwen über die Beine. Sie lächelte und rückte sich zurecht, wobei ihre Hände auf ihrem runden Bauch lagen. Dielan setzte sich neben sie und fuhr mit der Hand über ihre
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