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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wo in den Beeten feuerrot die Blumen blühen, da können ihnen die Wolkentürme und die Schreie aus den Tiefen nichts anhaben. Sie ergriffen die Flucht, flohen aus den Ortschaften der gestrauchten Bäume, aus den Hanglagen, wo sie in Armut lebten, so arm, daß sie sich bereits scheel ansahen, wenn sie mit der Gabel in die gemeinsame Schüssel langten und auf einen besseren Bissen stießen. Kein Strohschneiden mehr auf nüchternem Magen, keine Mahd mehr im Morgentau und kein Sensenverbiegen am Felsrand, wo immer nur das überständige Altgras wuchs, kein hagelzerschlagenes Getreide mehr! Sie flohen vor den Unwettern und den Sorgen, wichen vor der Habgier der gräflichen Förster zurück. Zu kurz waren die Freuden, wenn sich die Frauen im Winter beim Spinnen versammelten und die Ausgelassenheit genossen, wenn sie zu Allerseelen mit dem Flachsbrecheln begannen oder zur Zeit der Winterheiligen die Kukuruzkolben rebelten, wenn sie ins Tagwerk gingen oder auf den Bauernbällen einander die Pölster zuwarfen. Zu wenig war es, daß sie sich nur an den paar Feiertagen ins Tal hinunter verirrten, wenn die Holzwarenhändler in den Markt kamen. Lange genug waren sie, die Berglerinnen, paarig neben dem Sämann gegangen, um ihm zu zei
gen, wo der Same hinfiel; und wenn sie beim Getreideschnitt hinter den Männern abgeerntet hatten, überkam sie das Gefühl, daß es der falsche Acker war, auf dem sie sich verbrauchten; zu nichts mehr nütze, von Gelsen zerstochen und von Bremsen zerbissen, hatten sie sich müde gebeugt und wundgejätet in den unwilligen, am Steilhang festgebundenen Gärten, ebensogut könnten sie gleich die Saat selbst aus dem Boden ziehen. Sie hatten keine Lust mehr, immer nur mit leeren Taschen herumzustehen. Die Mädchen dienten sich den Talbewohnern an und stellten sich ihnen zur Schau: und was diese an einem einzigen Markttag geboten bekamen, hatten sie den Heimischen jahrelang vorenthalten. Für die Berge taugte die Schönheit nicht, in den Bergen war mit der Schönheit kein Staat zu machen. Daheim zeigten sie sich hantig und kantig, die Rundungen blieben den Heimischen verborgen, ihren Zauber und ihre Anmut trugen sie nach und nach von den Bergen in die Ebenen hinab, Kostproben brachten sie ihnen, den Talbewohnern, und diese, vernarrt in die berglerischen Wangengrübchen, ruhten nicht eher, als bis sie sich mit eigenen Augen überzeugt hatten, um wieviel schöner die Grübchen auf den anderen Körperteilen waren.
    Ein Unglück wie jenes, in das die Gendarmen das Haus verstrickt hatten, konnte Boštjan durch sein beschwörendes Umkreisen nicht aufheben. Wo der Gendarm Knoten ins Seil und Schlingen ins Netz geflochten hatte, verhaspelte sich Boštjan beim Loswickeln, nicht selten stolperte er und fiel der Länge nach hin. Alles ging wie in Rauch und Flammen unter, vergeblich klapperte Boštjan die Häuser nach dem Brändleralmosen ab. Gegen die Gendarmenhinterlist gab es kein Mittel. Der Gegenzauber schlug nicht an, das Haus begann baufällig zu wer
den und zusammenzubrechen, an dem Tag damals erschien es Lina und Boštjan noch in gutem Zustand. Nicht lange, und es wird zu Schutt, von Erlen und Brennesseln bewachsen, Gebüsch wird die Obstbäume überwuchern und sich des Gartens bemächtigen. Das vor Zeiten gerodete Land wird wieder an die Wildnis zurückfallen, der es einst mit Schweiß und Mühe, mit Krampen und Hauen entrissen wurde. Alles zerfällt und verschwindet, den Krebsgang geht Boštjans Elternhaus, geht Bau um Bau. Wiewohl es versteckt liegt, abseits der großen Ereignisse und wie geschaffen für die kleinen, auf der Rückseite der Unzeit, stinkt es nach Pulver ums Haus: Bomben, die weit entfernt aus den Flugzeugen fallen, bringen es zum Einsturz, mit dem Segen Gottes versehene Panzer und Bomber, Granat- und Minenwerfer, Kanonenrohre, die aus ungeheurer Weite darauf zielen, zerstören es und machen es dem Boden gleich. Die anbrandenden Donnerschläge ihrer Explosionen begraben es unter sich, lediglich die kleine Hauskapelle steht noch unbeschädigt am Steig. Ähnliche Bilder in ganz Tesen: Häuser, Hütten, aus Holz und auf steinerner Grundmauer gebaut, liegen zuhauf oder über die Hänge verstreut, an manchen Stellen sickert noch Wasser, nur die Steige blieben erhalten, nur noch die Bildstöcke an den Wegscheiden geben einen Hinweis auf die Abzweigungen zu den Häusern, die es einmal gab. Die Anwesen gingen zugrunde, fielen gräflicher List und herrschaftlicher Arroganz zum Opfer oder wurden durch
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