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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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des Steigs, wo Boštjans Geheimnisse zusammenlaufen. Von diesem verlassenen Seitenteil des Hügels führt der untere Weg in die Felsen, wo er auf einmal verschwindet. Wer hier beschwingt und abgehoben dahinwandert, der wird mit seinen Armen wohl plötzlich wie ein Huhn zu schlagen beginnen und verzweifelt nach dem Gleichgewicht rudern, weil sich zu seinen Füßen ganz unvermutet ein finsterer Schlund auftut, und er kann von Glück reden, wenn er vor dem Abgrund überhaupt noch zum Gackern kommt, so wie er dasteht: mit den Zehenspitzen gerade noch den festen Boden des Steigs berührend, mit dem Oberkörper schon über der Tiefe schwebend. Es ist noch keine Ewigkeit her, daß hier ein Erdrutsch mitsamt dem Weg in die Schlucht gedonnert ist. Der schräg hinauf führende Weg, teils von den Holzknechten aus dem Hang geschlagen, teils von den Jägern des Grafen frei gerodet, damit sie nicht soviel auf den Ziegensteigen herumklettern mußten und die Herrschaft ihre adeligen Knochen nicht zu sehr martern mußte, der Bergweg, von dem auch der Felsenkapellenweg abzweigt, diese höhensüchtige Transversale, windet sich über Schneisen und Rodungen, über Holzschläge, Rutschen und Almland quer bis zum Zaungatter des letzten Bau
ernhofes, erst dort, vor einem Drehbaum, der noch schließt, vor einem Viehweg endet auch er. Der Viehweg ist übersät mit Hunderten Abdrücken von Rinderklauen.
    In der Senke des Weges, hinten beim Trog, wo der schmale, rückseitige Steig zum Haus abzweigt, trennten sie sich. Boštjan, unerfahren, nicht wissend, was er ihr sagen sollte, um sie im Innersten anzusprechen, konnte nur aus dem schöpfen, was er auf der Wiese und im Wald, am Himmel und in den Felswänden erlebt und gesehen hatte, jetzt, im Schutz des Hauses, wo ihn das Tosen des Baches nicht mehr aus der Verlegenheit retten konnte. In der Hosentasche trug er einen seltenen Stein mit sich, glatt und rund, einen zweifarbigen Kiesel, der sich am Schenkel, zwischen den Beinen, angenehm erwärmte, doch den hatte er schon zu lange, um sich noch von ihm zu trennen, und so schenkte er ihr zum Abschied eine Distelblüte, ein stachliges, trockenes Bällchen mit hellen, rundmäuligen Blättern, und erklärte ihr, wie mit dieser wetterwendischen Pflanze umzugehen sei, mit dieser Wetterprophetin, die sich bei Schönwetter öffnen und bei Schlechtwetter zusammenziehen würde. Dieser ungewöhnliche Tag endete, wie er sich zugetragen hatte, überraschend, bei der hinteren Haustür. Lina, zufällig in dieselbe Richtung unterwegs, mit einem Auftrag des Bauern oder der Bitte, für einen Tag oder zwei das Pferd zu leihen, Lina hatte mit ihm ein Stück des Weges geteilt und setzte nun, mit einer Distel beschenkt, ihren Weg auf den Berg fort. Boštjan aber verweilte noch an der Stelle, um das, was ihm geschehen war, in Sicherheit zu bringen und gut zu verwahren. Er fühlt sich beschenkt, belebt, aufgerichtet. Solche einschlagenden Tage, solche Tage, wie sie sich ein guter Mensch ausdenkt, hatte es bisher nicht viele gegeben. Er brachte seine Gefühle zur Vernunft,
kehrte ins Tal zurück, und je näher er der Schwelle des neuen Wohnhauses kam, desto stärker festigte sich das Geheimnis im Fleisch, desto mehr zog sich das Jauchzen in die Eingeweide zurück. Er schloß es in seinem Innern ein und verkeilte es mit seinem Körper. In den Träumen dieser Nacht setzte er seine Hände wie einen Trichter an den Mund und rief durch ihn ihren Namen in den Berg hinauf, mit seinem Stimmstrahl trillerte er auf dem Bergweg nach ihr, um sie zum Stehenbleiben und zur Umkehr zu bewegen, streute ihr seine Lautbrösel vor die Füße, wandte sich damit nach rechts und nach links, doch von nirgendwoher kam eine Antwort, ein Echo, die Töne gingen ins Leere, der Wald verschlang und erschlug sein Rufen von Mal zu Mal. Er vermochte nicht zu unterscheiden, ob er aus einem Traum erwachte oder nur träumte, daß er erwachte. Als der Vater ihn rief und ihm wie üblich die Decke vom Bett zog, hoffte er, daß es nicht wirklich im Traum gewesen war, sondern ihm nur geträumt hatte, daß er schrie. Beruhigend und weniger riskant war es, wenn er träumte, er sei in Wirklichkeit und nicht im Traum durch die Luft nach Hause geflogen.

    S ie teilten sich das Haus auf. Einer der beiden Gendarmen blieb draußen, umkreiste das Gebäude, stand nach Diebsart geduckt einmal da, einmal dort an der Ecke herum und lauschte nach allen Seiten, Boštjan sah ihn immer wieder am Fenster vorübergehen. Auf dem
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