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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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es sich noch kleiner, als duckte und preßte es sich zu Boden. Ameisen verschwinden in den Sprüngen der Mauer und höhlen die Ziegel aus, ganze Häufchen von feinem Sand haben sie bereits herausbefördert, geflügelt schwärmen sie aus der steinernen Stille des Gemäuers. Alle Öffnungen des Hauses sind verschlossen und verplankt, der Vater hat die Eingangstür versperrt und die Klinke abgenommen, zwei Bretter kreuzweise über den Türstock genagelt; die niedrige Hintertür, durch die sie früher aus der Rauchküche hinaustraten, um vom Trog Wasser zu holen, ist völlig verbarrikadiert. Man sieht es dem Haus an, daß es keinen Widerstand mehr leistet, weil niemand da ist; es gibt sich nun selbst auf und überläßt es den Dingen, ihren Weg zu gehen, lädiert, wie es ist, vergeblich vom Vater mit Brettern geflickt, um seine Wunden zu schließen. Es bestand keine Rettung mehr, das Haus ließ von allein los und gab nach. Für einen Einbrecher war hier zwar nichts zu holen, denn die Zimmer waren leer, doch er hätte einen fremden Geist hineinge
bracht und mit seinem Atem das in den Räumen eingeschlossene Fluidum getrübt. Nichts darf hinausdringen, nichts von außen hinein. Alles soll bleiben, wie es war, wie es ist, so soll es sein: niemand soll etwas hinzufügen noch etwas wegnehmen. Hier haben sie es verknetet, das Leben mühsam zusammengehalten, soviel sich davon in der Kürze einsammeln ließ; eine schöne Zeit ist in diesen Wänden verwahrt, in den Spalten und Verstecken, die Türen entlangkriechend, hinter den Fenstern flimmernd oder über die Scheiben sickernd. Ganze Brocken liegen in diesen Wänden, gute Erinnerungen stauen sich in den Räumen. Das Unglück hat sich von draußen hineingeschlichen, damals, als der Vater vom Kriegssturm erfaßt und die Großmutter weggetragen wurde und als Ugav und seine Männer die Festung umzingelten und einnahmen, mit Leichtigkeit nahmen, offen, ungeschützt und geschwächt, wie sie war.
    Nun umkreisen Lina und Boštjan sie und strecken ihre Fühler in die Räume, spähen durch die Fensterscheiben, ob sich irgendwo ein Schatten regt, ein Gepolter zu hören ist oder Funken aus dem Ofen stieben. Es geschehen noch Wunder auf der Welt, warum nicht auch in diesem letzten Zipfel, und weshalb sollten sie Boštjan heute nicht noch ein zweites Mal zufallen, wenn ihm sogar Lina zugefallen ist? Eine schreiende Stille dringt aus dem Haus, in der Laube ist noch Licht. Boštjan sieht, wie der Vater das Fahrrad über die Holzstiege auf den Dachboden trägt, ein unmißverständliches Zeichen, daß der Winter kommt, und doch auch ein Frühlingszeichen, wenn er das Rad durch die enge Öffnung wieder heruntermanövrierte. Wozu ein Fahrrad auf diesem steilen Gelände? Während des Jahres war es in Straßennähe verwahrt, in einer Holzbaracke am unteren Ende von Tesen, für Besorgungen im Markt, und vor dem Winter
brachte es der Vater, halb schob er es, halb trug er es, wieder heim. Boštjan wartet, daß aus dem Kamin Rauch aufsteigt, daß die Tür quietscht und die Dachbodenstiege zu knarren beginnt, aber nichts rührt sich im Haus, kein Licht leuchtet auf im Dunkel, kein Knarren und Ächzen im Holz, kein Geruch nach Brot aus dem Ofen. Wo das Bett der Großmutter war, liegt jetzt dichte Finsternis, abgestanden und muffig, ein Überrest aus ihren Zeiten; am dunkelsten ist es in dem Winkel, aus dem ihn einst der Schaub in Angst und Schrecken versetzte. In den Ecken sammelt sich der Schimmel, die Feuchtigkeit kriecht durch den Fußboden und färbt die Wände schwarz. Boštjan wendet den Blick ab, wozu soll er sich noch in dieses Dunkel drängen! Auf den Außenwänden des Gebäudes streckt sich das Moos nach der Nässe, kriecht unter das Vordach, wo kalkgetünchte Tragbalken gestapelt sind, Moos auch auf dem Dach und an den Bäumen. Nichts ist mehr im und um das Haus, wie es einmal war und wie sie es verlassen haben, auch das Licht draußen ist anders, schwach und trüb. Der Wald hat die Gunst der Stunde genutzt und sich dem Haus auf Reichweite genähert, ungeniert hat er sich herangemacht, nicht mehr heimlich und hinterrücks. Der Wald weiß, wann er zuschlagen muß, und beeilt sich, um die Gelegenheit nicht zu verpassen, bevor von den Lebenden jemand zurückkommt, und sollte er doch kommen, um ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen. Boštjan und Lina gehen um den angebauten Schuppen herum, wo der Vater Holz gehackt hat, schauen in die Streuhütte, in den leeren Stall; knarrend öffnet sich die
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