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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Litanei, und rührte sich nicht vom Fleck, nur einen Steinwurf von der leibhaftigen geheimnisvollen Rose entfernt, dem wahren Morgenstern, von Lina, die aus dem Waldsteig heraustrat und, nicht weniger überrascht, den Weg in seine Richtung nahm. Kein Zweifel, durchfuhr es ihn und ließ ihn erstarren, wäre er nur um ein Zögern früher an diese Stelle gekommen oder auch nur um ein Zaudern später, sie hätten sich verfehlt, für lange Zeit oder gar für immer. Es stimmte, er hatte seine Beine geschickt bewegt und dem Zufall ein wenig nachgeholfen, war ein bißchen länger auf seiner Bahn dahingezogen, hatte wie ein Straßenmeister den Zustand des Weges kontrolliert, der große Schwemmlöcher aufwies und von Wagenrädern zerfurcht war, obgleich die Spurrinnen wieder mit Sand angefüllt worden waren. Soviel stand fest, er war völlig unnötig über die Höcker und Buckel des Weges gerutscht, dieses Verhalten der Schritte, dieses Abschätzen der günstigen Entfernung war nicht von Belang. Zwar hatte er sie zu sich hingelenkt, aber Lina selbst war es gewesen, die sich hörbar machte, sich ihm durch das Dickicht des Waldes näherte, als hätte sie auf ihn reagiert. Es gab keine Wahl, weil er die Wahl schon getroffen hatte: sie, die ihm bestimmt war und der er es jetzt überließ, auf ihn zuzugehen; er hatte seinen Teil erbracht und wartete nun darauf, daß ihm der andere Teil dazugegeben wurde. Und er ward hinzugegeben, die Zugabe übertraf alle Erwartungen, es war ein überirdischer Wink, ein Geschenk sondergleichen: ein unverdächtiges Glück, eine günstige Brise hatte sie aus dem Wald herausgestöbert. Wohl hatte er ein wenig an der Zeit manipuliert, den Weg in die Länge gezogen und mit den Schuhspitzen im Kies gestochert, das schon, dem
Glück ein bißchen auf die Beine geholfen, wo es sich doch bis dahin, lässig auf allen vieren Purzelbäume schlagend und seine Possen mit ihm treibend, so wenig anstellig gezeigt hatte. Lange genug mußte er warten, bis sie fest und unverrückbar aufeinandergestoßen waren, ein wenig hatte er diesem schwächlichen Glück unter die Arme gegriffen und sich kurz eingehängt, wo das Hascherl doch so jämmerlich und tolpatschig hinter ihm hergestolpert war, während Lina unschuldig und ahnungslos, ohne Argwohn ihren Weg die Serpentinen herunter und über die weichen, ebenen Matten nahm. Und auch wenn sie zu lange an ihrem Kleid herumnestelte, das sich am Baumstumpf verfangen hatte, als sie über den Durchgang geklettert war, und wenn sie auch über das Steilstück gerannt war und am flachen Hang getrödelt hatte oder unten auf der Ebene stillstand, um das Eichhörnchen nicht vom Steig zu scheuchen, so verging ihr die Zeit unbewußt, sie ahnte nicht, daß am Ausgang unten jemand dabei war, ihre Geräusche zu sammeln. Es ließ sich nicht bezweifeln, sie wurde ihm vom Schicksal entgegengetrieben, ohne daß er je sonderlich um sie herumgeschlängelt wäre, abgesehen von jener Umgarnung und heimlichen Umschwärmung in der Kirche, der unsichtbaren Bewegung des Kirchenstaubes nach Boštjans Plänen, abgesehen von jenem stillen Gespinst, das auf heiligem Boden ganz irdische Kopfschmerzen verursacht hatte; jedenfalls wußte sie nicht, daß dieser Jemand sie immer schon erwartet hatte, mit seinem Honig zum Empfang bereitstand.
    Ihr Kleid ist mit Blümchen gemustert und mit einer lustigen Spange zusammengeheftet, die Unterarme sind frei, die dunklen Haare sind zu einem Schwanz zurückgebunden und lassen ihre feinen Züge hervortreten, Boštjan muß ob der ungewohn
ten Nähe und des Liebreizes seinen Blick im Zaum halten. Er verbirgt nicht die Freude über das Glück, das ihm zuteil wurde; ausnehmend wohl ist ihm, daß es sich mit ihr so gefügt hat. Es liegt nicht in seiner Natur, große Worte zu verlieren oder sich kleinweis anzubiedern. Der Knoten einer unverdienten Erhörung steckt in ihm, zu einer Beule verklumpt, die er bisher nicht zu sprengen vermochte, obgleich voll Ungeduld darauf wartend. An einem Tag wie diesem ist alles möglich, bald wird sich der Sturm legen, der Krampf lösen. Er entsinnt sich, so einen Tag schon einmal vor sich gehabt zu haben, damals wußte er ihn jedoch weder in die Zeit noch in die Umgebung einzuordnen. Und doch ist er ganz und gar nicht so, wie er dem Lüstling fortwährend erscheinen wollte. Noch nie im Leben hatte sich Boštjan so gefühlt, wie er sich in diesen Augenblicken zu fühlen begann, es schien, als griffe er mit der Hand in das Räderwerk dieser
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