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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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gezwängt, nicht mehr über die Schnellen dahin, reißt keine Uferpflanzen, keine Steine mehr mit und unter
spült nicht mehr den Fahrweg, sondern strömt ins Breite und schnurrt ruhig dem Markt entgegen.
    Sie brechen auf, bergwärts, an der von Büschen und Kräutern überwucherten Hütte am Wegrand vorbei, an Abzweigungen zu Gehöften und einsamen Bauernhäusern, die sich gegen die Macht der Wildnis zur Wehr setzen, oder solchen, die umso mehr begehren, je mehr sie besitzen, und solchen, die schon besser wirtschaften konnten und nun nichts mehr zum Beißen haben. Dornengestrüpp und Gebüsch verbinden sich stellenweise zu einem undurchdringlichen Dickicht. Nebeneinander gehen sie in den Fahrspuren einher, die feuchte Bachluft tut ihnen gut, manchmal kreuzen sich ihre Schritte, manchmal sind sie im Takt, bei irgendwelchen Besonderheiten am Wegrand bleiben sie kurz stehen. Ständig zeigt sich ihm, wie nahe am Wunder er sich bewegt; sie ist es, die seine Gegebenheiten beiseite schiebt und entwertet, die Wirklichkeit umwandelt und den Gang aufhebt, ihm wortlos die Sinne öffnet. Boštjan hat sich mit Lina angesteckt, hört und sieht nun, was er nie zuvor bemerkt hat. Tatsächlich greift er mit seiner Hand in das Räderwerk der Stunden, dreht es hin und her, überspringt die Zeiten, wagt sich in unbekannte Räume und findet dort seine außerzeitliche Verwandlung. Heute ist ein besonderer Tag: es genügt, wenn die Haushälterin zum Einkauf in den Markt geht oder der Hausherr bei seiner Kartenpartie im Wirtshaus hockt und seinen Besitz verspielt; es genügt, daß er genußvoll etwas länger sitzen bleibt, wenn er sich erleichtert hat, und schon haben, ehe er sich auf dem Heimweg versieht, die Fichtenäste den Steig eingenommen und die Lianen sich um die Stämme geschlungen. Waldungen umspannen das Gelände, wo eben noch das Vieh gegrast hat, bedecken die Wiesen und die Felder, die
Gärten und die Hofplätze, daß von ihnen kaum etwas übrigbleibt. Bevor die Wälder loslegen, bemächtigen sich ihre Vorboten der Wiesenränder, überziehen sie mit Moos, Schwarzbeersträuchern, Farnkraut und bereiten das Terrain auf, bis der Wald nur noch auf das Haus einzuschlagen und eines Morgens, wenn noch alles schläft, kreuz und quer und kreuzweis überall gleichzeitig die ersten Schößlinge aus dem Boden zu treiben braucht. Schwierig wird es da mit dem Zusammenläuten, denn die Fichtenbäumchen stehen schon auf der Wiese, und unter dem Gras wächst und festigt sich das Netz der Wurzeln, die einander betasten und beschnuppern, bevor sich jede einzelne in ihre Richtung weiterbohrt. Noch ehe der Bauer aus dem Schlaf erwacht und die vom Jungwuchs übernommenen Flächen erblickt, hat der Wald vollends Wurzeln geschlagen, so daß nun auch der Mensch vor ihm zurückweicht, weil er bereits nach den Geräten und Werkzeugen, nach den Dienstboten greift und sie von vorn bis hinten mit Flechten, Pech und Nadeln bedeckt. Es fehlt nur noch, daß es heute aus heiterem Himmel zu blitzen beginnt oder aus dem Loch im Felsen, wo das Wasser hervorquillt, ein Sturm losbricht; es fehlt nur noch, daß das Rostwasser steigt, das aus dem Spalt sickert! Die Nachbarn treffen zu spät ein, Wanderer sind zu selten und die Bauern der Umgebung zu saumselig, um zu bemerken, wann die Höfe in der nächtlichen Aktion des Waldes, im jäh losbrechenden Sturm, unter den angeschütteten Hagelschloßen, in der herangerauschten Flut verschwunden sind, denn nicht oft kommt jemand zum Haus; schließlich betrachten alle jeden Besuch nur als fruchtloses Herumstehen, als Störung oder Landstreicherei, Gespräche als Zeitverschwendung und Ablenkung von der Arbeit, außer wenn vielleicht einmal übereinander hergezogen
wird. Zu lange dauert es, bis auch der letzte erfährt, daß es diesen Ort nicht mehr gibt.
    Plötzlich schimmert am Rand der Steigung oben Boštjans Elternhaus zwischen den Ästen auf. Sie finden es versperrt und die Fenster mit Brettern verschlagen. Seit es leer steht, macht es einen seltsamen Eindruck: gewiß, es war immer schon alles andere als imposant; man mußte nicht besonders groß sein, um mit der Hand das Dach zu erreichen, und die Mutter brauchte sich nur auf die Zehenspitzen zu stellen, wenn sie zu Johannis ihre Blumensträußchen in die Dachrinne steckte. Es war nicht wer weiß wie massiv und stattlich, jeder halbwegs schlaue Bursche konnte mit einem Nachschlüssel die Tür öffnen. Aber wirklich armselig sah es erst jetzt aus, es schien, als machte
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