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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Schräg über das Kirchenschiff sandte er ihr Botschaften zu, an den Köpfen vorbei setzte er fröhliche und traurige Worte an sie ab, und niemand schöpfte Verdacht, daß der da über die Distanz Gespräche mit ihr führte, ganz und gar irdische Gespräche mit dem Mädchen, zu ungehöriger Zeit und an einem verbotenen Ort. Solche Heimlichkeit hatte ihren Reiz und tat der Seele gut, mehr noch: hielt sie in stetem Auf und Ab, daß es vor Unruhe in ihm bebte, und obendrein konnte er sich dabei der dörflichen Aufsicht entziehen. Ein allgegenwärtiges und alles sehendes, nörgelndes und tratschsüchtiges Dorf, das alles und jeden kontrollierte, jede kindliche Albernheit eindämmte und
das Heranwachsen verfolgte, das eifersüchtig darüber wachte, wer mit wem Kontakt und Umgang hatte, das sorgensüchtig immer und überall den Geruch der Sünde witterte, stets auf der Lauer nach einem Ärgernis, an dem es sich erhitzen konnte, oder um an irgendwem Anstoß zu nehmen. Zunächst stand die dörfliche Prominenz vor der Kirche herum und besprach sich scheinhalber über dieses und jenes, insgeheim ständig auf der Lauer nach Verdächtigen, jeder nach den seinigen, und was ihnen vor der Messe entging, kam dann in der Kirche zum Vorschein. Es ließ sich nicht verbergen, wer wem nachstieg und wer mit wem einen Blick tauschte, nach dem Motto die Mädchen gut bewacht und den Burschen Angst gemacht, blieb nichts unbemerkt. Boštjan gelang es nicht nur, sich den Spielverderbern und den Leidenshüterinnen, den allwissenden Selbstgerechten beiderlei Geschlechts zu entziehen, dieser dörflichen Allmacht zu entwischen, er versetzte sie auch in Unruhe und brachte ihre Fundamente ohne zu wissen ins Wanken.
    Dieses Mitteilen aus dem Hintergrund, von einer Seite des Kirchenraumes schräg hinüber zur anderen, dieses Trostholen und verstohlene Hilferufen quer durch das Kirchenschiff lief jedoch trotz aller Heimlichkeit nicht ganz unbemerkt ab, ein so starkes pfeilgerades Blitzen über den Köpfen konnte selbstverständlich nicht unbeobachtet bleiben. Die spürsinnigen Dörflerinnen nahmen dieses rastlose Verlangen auf, dieses ungewöhnliche Strömen über sie hinweg, und die eifrigsten von ihnen streckten sogar ihre Fühler danach aus, ohne seiner völlig habhaft werden zu können. Etwas lag jedenfalls in der Luft, vielleicht in den Weihrauchwölkchen, vielleicht in dem Filz der laut heruntergeleierten Gebete, der sich träge über den Köpfen bauschte, oder vielleicht im Verdampfen der Heiligkeit. Etwas, das nicht
sein durfte und ihre frommen, gegen das Rippengewölbe aufsteigenden Bläschen, die Ausdünstungen und die prallen Duftschwaden störte, von denen nicht wenige bis zur Decke hinaufquollen, durch das Schieferdach schlugen und auf dem kürzesten Weg in den Himmel fuhren. Aufgeregt versuchten sie, sich in dieses unhörbare Hinundherschießen über ihren Köpfen einzuklinken, es abzufangen und herunterzuholen, aber diese Nuß vermochten sie nicht zu knacken, dieser Sache kamen sie nicht auf den Grund, sie blinzelten, verdrehten nur den Kopf und fanden nicht heraus, mit wem und womit er Umgang hatte. Auch die Sittenwächter, in die Jahre gekommen und von einer Inbrunst, daß sie den Heiligen am liebsten gleich die Zehennägel abgebissen hätten, auch die Reinheitsapostel, die schon den Säuglingen die Händchen zum Gebet falteten, sie alle rümpften ratlos die Nase und spitzten die Ohren, unsicher, wen sie mit ihren Blicken durchbohren sollten. Hätten sie freilich Boštjan unter die Haut schauen und dort die schändlichen Gefühle sehen können, er wäre auf ewige Zeiten verloren gewesen, und man hätte ihn nicht nur mit Worten niedergemacht, auch wenn er zu leugnen versucht hätte. So aber schmiedete er mitten unter ihnen seine Pläne und überlegte bereits, wie er es mit dem Mädchen anstellen und womit er beginnen würde. Doch was er sich auch vornahm, es erwies sich als ungeeignet, und was immer er in Betracht zog, erschien ihm unpassend. Die Sonntage kamen und gingen, nichts Brauchbares wollte sich einstellen.
    Auch in der Früh, beim Morgenläuten, hatte nichts darauf hingedeutet, daß ihm der Tag eine gute Wendung bringen würde. Jetzt, nachdem er den flachen Teil des Weges zurückgelegt hatte, bevor es in die Hügel hinaufging, und er aus Vorfreude neben dem Steig, neben dieser schaurigen Pforte des Himmels und zu
gleich Ursache seiner Freude, zögerte, stand er da, verschreckt und klein, eine Spottgeburt aus der Lauretanischen
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