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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Wänden zu kratzen, damit das Haus unversehrt und frei bleibt, um vorzubeugen, daß wenigstens das Haus nicht gleich zusammenfällt und die Mutter wohin zurückkehren kann, sobald sie ihren Gang im Markt verrichtet hat, kurz, um die Pläne der Gendarmen zu durchkreuzen und das von ihnen
über sie gebrachte Unglück zu widerrufen. Mit doppelt so großem Eifer wie der Gendarm spulte er zurück, mit verdoppelter, atemberaubender Schnelligkeit, doppelter Entzauberung, und doch spulte er nichts auf, durchkreuzte und entzauberte nichts, das alles nicht, aber er hatte das Gefühl, daß sich das Haus fester an ihn klammerte und daß es noch Lichtreflexe in ihm gab, an die Wand gehauchte, die ihn banden.
    So konnte Boštjan später, als sie unten auf dem Talboden lebten, nichts davon abhalten, immer wieder durch Tesen zu gehen, auch dann noch, als es mit den Jahren entvölkert war. Manchen Frühling und Herbst traf er keine Menschenseele an, es schien, als hingen die Erinnerungen nur noch an ihm, als wären sie von den anderen bereits gänzlich abgefallen. Sein Gehen wechselte ständig in das Chaos vor jenem Tag, als er in größter Not und Einsamkeit um das Haus gerannt war und vergeblich Trost gesucht hatte. Noch heute umkreist er, bevor er den Ort verläßt und ins Tal zurückkehrt, immer wieder die Stelle; das ist ihm von damals geblieben. Nicht nur Tesen, der ganze Graben hat seitdem die Gebäude von den Hängen abgeworfen und sich der Wiesen und Felder entledigt. Mit manch einem fuhren danach noch die Gendarmen ab, einigen wurden durch teuflische Pechsträhnen die Häuser umgarnt und entrückt, andere, die dem eigenen Wirrwarr entkommen wollten, nahmen mit der verbliebenen Habe von selbst Reißaus, sobald die ersten Schindeln flogen. Langsam begannen sich die Hänge zu leeren und waren am Ende rasch leer: Als der erste wegzog, machten es ihm die anderen auf der Stelle nach, ähnlich wie in besseren Zeiten alle darauf gewartet hatten, daß sich die erste Sense vernehmen ließ, und noch am selben Morgen von allen Hügeln die Sensen zugleich erklangen, während am Abend rundherum das
Sensendengeln erschallte. Nun hat sich überall die Ödnis breitgemacht, Strauchung, die Aussiedlerkrankheit, hat alles erfaßt. Heute gibt es hier keine Menschenseele mehr, außer denen, die noch in den Ruinen rauschen, jenen, die an Ästen und im Blattwerk hängenblieben oder in den Klüften liegen, und jenen, die in den Schründen unterkrochen.
    Es waren nicht nur die Katastrophenjahre mit ihren Schäden und das opferwillige Aufräumen hinterher, die Beseitigung der Kriegsspuren, das Verharmlosen und Verschweigen; die Bauern waren es leid, den Roggen weiterhin händisch zu dreschen, die Windtrommeln zu treiben und ewig Steine zu klauben auf dem Brachland und den Hängen; sie waren der Fisolen und der sauren Rüben satt, hatten genug von Hagel und Gewittern, vom Schichtgehen und vom Abdienen, von Steuern und Gebühren. Des Staubs, wenn sie das Futterstroh für die Pferde schnitten, der Windbrüche und der Herbstwiesen waren sie überdrüssig, hatten mit ihren Köpfen zu Ende gewackelt, als die Erdlawine mitsamt dem Getreidespeicher den Hang hinunterfuhr, als der Acker langsam bergab wanderte und die Rosenkränze es gerade noch verhindern konnten, daß er nicht auch ein Hauseck mit sich nahm. Sogar die Bäume waren nur unglückshalber gewachsen: Wenn ein Same sich im Flug vertat und an den unsinnigsten Stellen Wurzeln schlug, sproß ein rutenförmiger Jungtrieb an einem unmöglichen Ort, doch aus Geiz und Gier rissen sie ihn nicht aus und krochen lieber auf entlegenen Hängen nach den kümmerlichen Früchten. Sie schirrten die Ochsen aus, hängten das Joch an die uringetränkte Stallwand und machten sich davon. Bis dahin hatten sie mit dem Brot im Hochland ihre Not, von nun an gehen sie den Kuchen in der Fremde suchen und träumen von vollen Schüsseln. Was auf den Hängen der
Schatten, ist ihnen dort die Sonne; im Feiertagsgewand möchten die umherspazieren und auf dem Seil tanzen, die zuvor jahraus, jahrein nur den Steilhang kannten und ihre Fußlappen aufs Ofengeländer hängten. Der Graben ist allzu reich an Schicksalsschlägen, den Tesenern geht es an die Knochen, nächtens liegen ihnen die verdammten Seelen seufzend in den Ohren. Zu sehr waren sie von Sorgen bedrückt, zu sehr plagte sie die Arbeit. Im Markt unten und noch mehr in den fernen Städten, wo es Paläste für die Gäste gibt und die Häuser zwischen flachen Gärten stehen,
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