Bostjans Flug - Roman
schlechte Wirtschafter ruiniert; die Taglöhnerkeuschen, die sich einst zufriedengaben mit den Überbleibseln vom Dreschen und Heuen, brachen nieder; die Häuser liegen längst schon in Trümmern, nur die Kreuze stehen noch immer an den Wegrändern, als wäre nichts geschehen. Nur ihnen kann nichts geschehen, nur die Kirchen halten
sich aufrecht und strecken höhnisch ihre Türme aus dem Dickicht, Festungen, die dem Zahn der Zeit trotzen und sich nach Kräften bemühen, daß der Rost sie nicht auffrißt und die Vergoldungen nicht abblättern, und so trotzen sie in ihrer Felsverankerung immerfort von Ewigkeit zu Ewigkeit in alle Ewigkeit. Sie sind versorgt und eingebettet, doch die Überlebenden fürchten wahrlich den Zorn Gottes, der sie bei lebendigem Leibe in Stücke reißen würde, den Schwefel, das siedende Pech und die Sintflut, gäben sie auch nur eine einzige Kirche auf. Sei es Kirchlein oder Kathedrale, alle drängt es in die Vertikale, zu den bevorzugten Aussichtspunkten, die besseren, hervorstechenden Standorte suchen sie sich aus; sie haben sein Volk unterworfen, dieses biegsame Weidengewächs, dieses gehorsame Schilf, haben sich das Umland botmäßig gemacht, noch immer herrschen sie, und sei es mit Blutvergießen, mir nichts, dir nichts haben Christen Andersgläubige umgebracht, wieso sollten es dann die Andersgläubigen mit den Christen nicht tun dürfen? Pausenlos sind sie mit ihrer Selbstdarstellung beschäftigt, der Vergänglichkeit enthoben, der Unendlichkeit geweiht und voll Ungeduld: kaum schiebt ein Berg sich aus dem Magma hervor, hat sich noch nicht einmal abgekühlt, liegt noch der Vulkanrauch in der Luft, schon wird ein Tempel darauf gesetzt. Sie schwingen sich auf die Hügel und Gipfel, aber nicht auf irgendwelche, sondern auf die von den Niederungen aus weithin sichtbaren, nachts beleuchteten, tags mit Glockengeläut erfüllten, und von den allerspitzesten Höhen, wo nicht einmal für eine Kirche Platz ist, nehmen die Kreuze Besitz. Boštjans kleine Hauskapelle am Wegrand freilich genießt nicht das Privileg der nächtlichen Beleuchtung, nicht damals und nicht heute; auch die Dorfkirche erfreut sich keines verstärkten Geläutes, wie
es andernorts bis in die Nachbardörfer hinausdringt, von wo es dann widerhallt und sich fortpflanzt, bis die Läuterei auch die entlegensten Gegenden und noch so versteckten Winkel kreuz und quer überzieht. Auf daß es unter dem Firmament keinen Fleck gebe, der nicht vom Geheimnis der Bronze bedeckt und von der Gnade des Glockenschwengels überschattet wird! In dieser Höhenlage und Einschicht gibt es keinen elektrischen Strom, sogar im Markt unten nur selten, und wenn es mit Gottes Hilfe und auf Fürbitte der Unbefleckten Abend wird, versinkt auch Boštjans Kapelle mitsamt dem Gebüsch im Dunkel. Sie ist mit Schindeln gedeckt, der Korpus am Kreuz hat schon Risse, die Arme sind an mehreren Stellen gebrochen, das Gesicht ist noch ganz, ein Papierblumenstrauß steckt seit Großmutters Zeiten hinter den Fersen, alles ist noch wie damals, nur der Kopf, der früher zum Haus gewandt war, ist nun zur Seite gedreht und stärker geneigt. Die Wildnis berührt schon seinen Rücken, die undurchdringliche dunkelgrüne Mauer schleicht sich von hinten an ihn heran, überwuchert ihn von der Seite und drängt auf den Steig, nur vorn ist ein fußbreiter Platz ausgehackt, wo der Wanderer innehalten kann, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Niemand weiß, wer den Platz vor der Hauskapelle frei hackt. Boštjan, der vor ihr steht und sich voll Bedürfnis nach Zuwendung und Ansprache die Schweißperlen von der Stirn wischt, wartet auf ein Wort, auf ein Zeichen, doch vom Schweiger am Kreuz kommt weder ein Nicken noch ein Kopfschütteln, er rührt sich nicht, hat für ihn kein Wort übrig. Statt seiner blasen die anderen in ihr Horn und lügen, verkaufen ihre Sprüche als göttlich und zu ihrem Preis, während er selber nur schweigt. Fünftens du sollst nicht töten, und sie töten, sechstens du sollst nicht Un
zucht treiben, siebtens du sollst nicht stehlen, achtens du sollst nicht denken, denn es wird für dich gedacht, neuntens du sollst nicht fälschlich schreien! Gib nur, gib immerzu, nimm niemals nichts! Der Schweiger nimmt, schaut nur und sieht nichts, horcht nur und hört nichts, denkt nur und lenkt nichts, verspricht nur und hält nichts. Es ist klar, daß er sich nicht um jeden Fremden kümmert, der hier vorbeikommt und innehält, um sich ehrerbietig den Schweiß
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