Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
fertig, und so hatte sie ihre Arbeit schlampig und nur halb gemacht. Vielleicht war auch die Sense an diesem Tag nicht gut gewetzt oder schartig geworden, als sie über den Knochen schlitterte, vielleicht war sie zuvor schon auf dem deutschen Dengelstock übel zugerichtet worden, jedenfalls gelang es dem gewitzten Weiblein, ihr zu entkommen. Während von der Mutter nichts mehr im Haus zurückgeblieben war, trieb die Großmutter ihr Spiel mit dem Schicksal; sie machte Anstalten wegzugehen, doch sie ging nur zum Schein, in Wirklichkeit rückte sie bloß ein bißchen auf die Seite und blieb in der Nähe, duckte sich, sobald sie aus dem schwarzen Kornfeld herauskam, im Gras und in den Erdspalten nieder. Die Großmutter liebt hügelige Flächen, sanft ansteigende Matten mit niedergetretenem Gras, das die Sense nicht schneiden kann, ziehen sie an; wo früher einmal das Stroh zum Durchlüften ausgebreitet war und wo noch die Stiefelabdrücke zu sehen sind, legt sie sich nieder, ordnet ihre alten Knochen recht und schlecht, paßt sie dem Unter
grund an. Aus dem Stübchen trägt sie ihren morschen Leib, ihre leere Hülle, auf die Spielwiese vors Haus und breitet ihn auf dem Boden aus, auf demselben, wo die Mutter ihn manchmal hingesetzt, manchmal hingelegt, manchmal abgestellt hatte, vielleicht ahnend, daß hier einmal der Schlaf der Großmutter lagern würde, und meistens war er dort eingeschlafen, worauf sich die Mutter der Arbeit widmen konnte. Dort, auf diesem abgelegenen Boden, dem durchtrotzten, durchweinten, mit Urin getränkten, verdreckten, auf dieser gedüngten, im voraus gesehenen, durchschlafenen, im Kindertraum erprobten, schlafbar gemachten Erde, legt sich die Großmutter nieder, nun heißt es achtsam und leise treten. Das Herumlaufen der Kinder auf den Matten bringt kein Ermatten, nur langsam paßt sich der Fuß an, gewöhnt sich an das pelzige Untergras, an den gepolsterten Morast, sogar die Vögel spüren, wenn sie hier Futter für die Jungen suchen, wie sie in die Ewigkeit einsinken, in die Unendlichkeit, wie die Oberfläche unter ihrem Picken nachgibt, unter ihrem schwerelosen Trippeln, wie sich hier die totenbleiche Ungezieferbrut selbst für immer versenkt. Sie konnte die Kinder nicht allein lassen, jetzt, wo die Mutter nicht aus dem Markt zurück ist, und sie sah, daß auch Boštjan, so wie er ums Haus rennt, nichts erreicht, nicht ungeschehen machen kann, was die Gendarmen angerichtet haben. Sie wollte beim Haus bleiben, aus dem Unterschlupf heraus sich wieder in ihrem Stübchen einfinden, wollte auch später, wenn das Haus nur noch Schutt sein würde, von der Kuppe herab im Geröll versinken, einen Klafter tief unter der Oberfläche die einstigen Zeiten feiern, als die Spielwiese vor dem Haus und der Hofplatz noch begangen wurden, der Acker noch bearbeitet und die Futterwiese voller Stimmen war, die Gartenfrüchte im übrigen spät und ei
gensinnig reiften, wie es eben diesem kargen Boden entsprach. Eine Erde, die nur mit Mühe gab, was sie gab, doch es reichte, was sie erwirtschafteten. Gebirgsruhe umgab das kleine Anwesen, nur der Bach sandte aus der Tiefe unablässig seine Geräusche an den Felsen hoch, von wo sie über den Abhang rollten, bis sich ein letzter Ausläufer als dünner, windzerfetzter Reif säuselnd um das Haus legte.
    Die Großmutter kränkelte, mußte sich oft hinlegen und braute sich Kräuter, schließlich erhob sie sich nicht mehr. Sie war nur noch Haut und Knochen, aber unter der Haut loderte der Geist noch. Auf dem Recht zum alten Husten bestand sie, denn er gehörte ihr, und niemand konnte ihn ihr nehmen. Was der Mensch in diesen Bergen einmal hat, das gibt er nicht mehr aus der Hand. Die Großmutter ist stolz auf ihn, auf die Atemnot und die Runzeln, sie glaubt, sich aus der Krankheit herausschälen zu können, aber dem Alp, den die Gendarmen angerichtet haben, entkommt sie nicht mehr. Alles geht den Bach hinunter. Sie hat Matildas Findigkeit und Schläue unterschätzt, die List ihrer Gehilfinnen, die aus der Ferne und nachhaltig gewirkt haben, und sie hat auch den Zugriff ihrer Helfer unterschätzt, denn es waren die Gendarmen, die ihr die Zockel auszogen. Auch tagsüber blieb ihr Fenster jetzt verhängt, zu sehr blendete sie schon das schwache Licht, das vom Wald hereinkroch. Eines Abends dringt aus der Holzhütte ein Laut, als habe jemand donnernd ein knorriges Scheit zerschlagen, worauf die Holztristen zusammenrumpeln, Hackstock und anderes dort aufgestelltes Werkzeug unter

Weitere Kostenlose Bücher