Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition)
Autoren: Peter Buwalda
Vom Netzwerk:
während Wilbert blau wie eine Traube dasaß und erstickte. Er hätte sein Gelump gleich aus dem Weg schaffen sollen, damals. Er betrachtete die Waffe, der Hieb aufs Heft hatte vermutlich die Klinge herausspringen lassen, im Holzgriff war eine tiefe Kerbe. Hätte ich ihn damals doch nur verrecken lassen.
    Doch er rannte zu ihm hoch und verpasste ihm mit der Faust gezielte Schläge auf die Magengegend, hob das bewusstlos gewordene Kind an den Fußknöcheln hoch und fischte schließlich mit drei Fingern den knallrosafarbenen Klebeklumpen aus der Kleinkindkehle.
    Er trieb die Axt in den Oberschenkel. Mit vier bis fünf Überkopfschlägen – das Heben der Axt gelang mit Hass, das Runtersausenlassen mit Schwerkraft und Hass – trennte er den angesägten Oberschenkel ab, das Fleisch war bröckelig wie Eissorbet, er hörte den Knochen brechen. Jetzt war es ein merkwürdiges loses Ding mit einem Turnschuh dran. Dunkles Blut quoll aus der faserigen Schnittfläche, die er auf gar keinen Fall sehen wollte, trotzdem nicht aus den Augen ließ; die hellrote Fläche entsprach seiner Vorstellung von einem Querschnitt durch ein Bein: Haut, darunter Fleisch, darunter Knochen. Wie betäubt steckte er das Teil in einen Müllsack, den er mit dem silbernen Klebeband umwickelte und in die Werkstatt trug.
    Er hatte richtig gelegen: Der Zeltsack war lang genug. Mit dem Rucksack in der Hand ging er zurück zum Hackblock. Die Dunkelheit schien weniger tief zu sein. Wider besseres Wissen schätzte er per Augenmaß die Öffnung der Tasche und danach die Breite der Schultern. Der Rumpf war tatsächlich zu kräftig, sein Sohn hatte seinen Körperbau geerbt, gedrungen, stämmig, der unverletzte Arm musste so oder so ab. Und der Kopf? Er durfte nicht schlappmachen. Die Zeit verging wie im Flug, wann kam die kleine Teeuwen? Fang immer mit dem unangenehmsten Teil der Arbeit an, das hatte er seinen Töchtern während ihrer ganzen Jugendzeit gepredigt. Erst abwaschen, dann fernsehen. Erst die Hausaufgaben erledigen, dann reiten gehen. Erst der Kopf, dann die Gliedmaßen. Er unterdrückte den plötzlich aufkommenden Drang, die Axt zu nehmen und sie mit aller Kraft in den Wintergarten zu werfen – in seiner Phantasie hörte er Glas klirren. Der unerträgliche Gedanke an den Kopf. Lag oben nicht vielleicht irgendwo eine größere Tasche? Eine höhere Tasche, sodass er den Kopf dranlassen könnte?
     
    Am liebsten würde er die Augen schließen, kurz, doch das Gefühl des Gehetztseins überkommt ihn. Der Rucksack – er muss zum Auto. Mit schnellen Schritten klettert er aus der Kuhle und bahnt sich zwischen den Stämmen hindurch einen Weg zurück. Auch ohne Dreißigkilolast stößt er sich fortwährend die halberfrorenen Zehen an Wurzeln und Ästen; die Geräusche, die er macht, klingen unnatürlich laut. Sobald er den Audi sehen kann, den silbernen Lack, der in der Wintersonne aufleuchtet, beginnt er, schneller zu gehen, die letzten fünfzig Meter mit Tränen in den Augen, wegen der Stiche im Brustkorb. Ohne den Waldweg nach links und rechts zu inspizieren, setzt er sich ans Steuer. Er verriegelt die Türen. Im Handschuhfach findet er eine Straßenkarte von Frankreich. Nachher geht’s runter in den Süden, über Reims und Dijon zu seiner Familie. Aber erst noch der Rucksack. Er startet den Wagen und fährt zur Landstraße, zu halsbrecherisch für einen Weg wie diesen. Er biegt in Richtung Charleroi ab.
     
    Vom Viadukt aus wirkte die lange, karge Straße verlassen, doch nun geht ein Junge neben ihm her. Er ist mager und sehnig wie ein Straßenköter. Der Junge trägt Kleider, die nicht zu ihm passen, eine dreckige wattierte Weste, die ihm bis über die Knie reicht, dazu weiße Krankenschwesternclogs mit kleinen mädchenhaften Durchbrüchen. An der Hand hat er einen großen Motorradhandschuh aus rotschwarzem Leder. Es sind Kleider, die zu niemandem passen.
    Der Junge geht auf dem steinigen, körnigen Asphalt und er selbst auf dem hohen Bürgersteig. Er kann nicht älter als zwölf sein, und doch liegen seine kaum sichtbaren Augen tief in ihren schuppigen Höhlen, schwarze Abflusslöcher, aus denen er ständig nach dem Rucksack späht. Der hat zu tropfen begonnen und zieht schwer an seinen Schultern. Verstohlen wirft er einen Blick auf sein Auto, der Audi steht noch am Straßenrand, halb unter dem Betonviadukt.
    Er sieht sich um, als schenkte er dem Jungen keine Beachtung. Es wurde viel abgerissen in der sowieso schon ärmlichen Straße, die wenigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher