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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition)
Autoren: Peter Buwalda
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Schrillen schob sich das Sägeblatt ins faserige Holz, Sägemehl flog umher, er roch den falschen Geruch von Künstlichkeit, in weniger als zehn Sekunden durchschnitt die stählerne Haifischflosse den halben Meter bis zur Hüfte. Ich habe nicht vor, deinetwegen noch mehr zu bluten. Das wird mir verdammt noch mal nicht passieren. Die Kreissäge packte den schäbigen Jeansstoff im Handumdrehen, von einer doppelten Belastung war nichts zu merken, ungebremst fraß sich das rotierende Blatt durch den gefrorenen Oberschenkelknochen; allerdings gesellte sich etwas Dunkles zu dem schrillen Geräusch, ein feuchter, beinahe murmelnder Unterton, es flogen weißliche und dunkelrote Spritzer von der Säge. Schreiend, als wäre es sein eigenes Bein, schob er es tiefer in die Säge. Der Motor schien ein wenig nachzugeben, das Gespritze in vertikaler Richtung nahm zu, sprenkelte die Platte und seine Jacke. Er spürte weiche Berührungen an seinem Hals, im Mundwinkel, auf der Wange, auf der rechten Schläfe – und wich zurück.
    Bin ich das? Sind wir das? Als würde er in Flammen stehen, versuchte er, sich die Fetzen spuckend und fluchend von Gesicht und Hals zu schlagen. In heller Panik zog er sich den Pullover aus, Knöpfe flogen von seinem Oberhemd, er spürte die feuchten Gewebestücke an seinen Händen kleben. Spuckend, mit vor Ekel spastischen Bewegungen, machte er einen Schritt auf die Säge zu und brachte sie mit einem Hieb auf den Gummiknopf zum Stillstand, bevor er hastigen Schritts die Werkstatt verließ. Blind vor Tränen – irgendwo in ihm setzte ein plötzliches Tauwetter ein – schlurfte er durch die Dunkelheit, die ihn draußen umgab, Achten und Nullen in den Schnee stapfend, bis er ausrutschte und vornüber auf die kalte Decke fiel. Da unten, in seiner Negativform, presste er sein verschmiertes Gesicht in den Schnee und spürte, wie seine Tränen gefroren. Er kniff die Augen zu und rappelte sich auf. Die Kälte brannte auf seinem Gesicht, unter Stöhnen ging er in die Waschküche. Schon im Wohnzimmer zog er sich das Hemd über den Kopf und löste den Hosengürtel. Immer noch spuckend, ging er durch die Diele ins Schlafzimmer und weiter ins Bad. Ungestüm zog er sich aus. Nackt spülte er sich den Mund am Waschbecken und ließ die Dusche warm werden.
     
    Der Zeltsack wölbt sich wie eine Blutblase am Rand der Mulde. Er klettert ein Stück das Gefälle hinauf, ergreift die Verschlusskordel und zieht daran, bis der Sack über die vermooste Kante rollt. Er fängt das Gewicht auf und lässt es zu Boden gleiten. Einen Moment lang bleibt er stehen und verschnauft. Als er den bleischweren Sack hochhebt und ihn so tief wie möglich in das wurzelige Loch unter der Tanne stopft und drückt, klingelt sein Telefon.
    Die feine Melodie passt klanglich so wenig in die morgendliche Stille, dass er vor Verwunderung eine Grimasse zieht; seine Gesichtsmuskeln sind steif und wie eingerostet. Seufzend lässt er sich aufs Gesäß fallen und streckt die Beine aus, in den Schnee. Er sitzt dort einfach nur herum, gedankenlos, bis das Klingeln aufhört. Einen Moment lang ist es im Wald still. Dann meldet sich sein Telefon erneut, und diesmal holt er den Apparat aus der Innentasche seiner Jacke. Er sieht, es ist sein Referent. Hendrik, der alte Hase, im Zuge des Untersuchungsausschusses zum Absturz eines israelischen Frachtflugzeugs in Bijlmer wurde er ins Wissenschaftsministerium versetzt. Obwohl er unendlich müde ist, verzieht sich sein Mund erneut zu einem Grinsen. Diese treue Seele, die ihn aus einem Paralleluniversum in seinem tiefsten Elend erreicht.
    «Hallo, Hendrik.»
    «Hallo, Siem, es tut mir leid, dass ich dich an einem Samstagmorgen anrufe. Stör ich dich?» Die Stimme des Mannes dringt in sein Bewusstsein wie der Duft frisch gebackenen Brots.
    «Schieß los.»
    «Siem, Folgendes: Wie du weißt, ist Karin morgen Gast in der Buitenhof -Talkshow. Gerade habe ich aber erfahren, sie ist krank. Stimme weg. Meine Frage: Willst du einspringen? Ich persönlich denke, es ist eine ideale Gelegenheit, das Gemurre über die Oberstufenreform zu beenden. Wie denkst du darüber?»
    «Ich stehe hier gerade auf einer Skipiste, Hendrik. Und offen gesprochen, denke ich im Moment überhaupt nicht viel.» Was er denkt, ist: Lass mich nicht allein. Sprich mit mir.
    Hendrik flucht. Dann muss er lachen, ja, irgendwie sei das zu hören gewesen, dass er ins Ausland telefoniere, und jetzt, wo Sigerius es sage, erinnere er sich auch wieder daran, dass er
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