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Bonita Avenue (German Edition)

Bonita Avenue (German Edition)

Titel: Bonita Avenue (German Edition)
Autoren: Peter Buwalda
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nach Frankreich habe fahren wollen. «Dann geht eben jemand anders hin, Siem. Bleibt mir nur noch, dir schöne Feiertage zu wünschen.»
    «Ich dir auch, Hendrik, ich dir auch.» Offenbar sagt er das in einem Ton, der seinen Gesprächspartner davon abhält, aufzulegen. Einen Moment lang herrscht eine zögerliche Stille. Hendrik ist ein Boot, das er aus der Tiefe des Wassers oben treiben sieht, er muss versuchen, zur Wasseroberfläche zu schwimmen, und zwar schnell. «Was hast du vor?», fragt er.
    «Ich? Muss ein paar Kleinigkeiten zu Ende bringen. Und ich bin noch mit dem neuen Parlamentskorrespondenten des NRC Handelsblad zum Mittagessen verabredet.»
    «Ich meinte eigentlich über Weihnachten, Hendrik.» Zwischen den Sätzen, die er sagt, klappert sein Gebiss, er stülpt seine Lippen über die oberen und unteren Schneidezähne. «Und an Silvester.»
    «Nichts Besonderes, Siem.»
    «Die Kinder? Was macht ihr.» Seine Zähne klappern.
    Hendrik hält kurz inne. Dann, widerstrebend: «Am ersten Weihnachtstag kommen die Töchter meiner Frau. Die jüngste hat einen neuen Freund.» Er räuspert sich und wartet einen winzigen Augenblick. «Ein junger Mann aus dem ehemaligen Jugoslawien. Meiner Frau steht das Ganze ziemlich bevor, glaube ich. Nun ja, Siem.»
    Gleich nachdem sie aufgelegt haben, sinkt er hinab, in die Tiefe des Abyssals, wo es kalt ist und immer finsterer.
     
    Er schrubbte sich mit einer körnigen Paste aus einer kleinen Tube sauber. Das Zeug schmirgelte die oberste Hautschicht von Hals und Gesicht ab, alles musste runter und in den Abfluss. Bei jedem fleischigen Fetzen, den er spürte, zuckte er vor Grausen und Selbsthass zusammen. Das Duschwasser brannte auf den Stellen, wo ihn das Nunchaku getroffen hatte, unter der Achsel hatte er einen riesigen Bluterguss, an seinem Hals einen länglichen blauen Fleck. Zweimal wusch er sich die Haare mit einer Handvoll Shampoo, die Finger eine Stahlbürste, mit der er sich über die Kopfhaut fuhr. Er quetschte Gel auf die Zahnbürste, die auf der gläsernen Ablage lag, und putzte sich die Zähne, spuckte den Schaum zwischen seine Füße und putzte noch einmal, bis es zu bluten begann. Er nahm den Duschkopf aus der Halterung und hockte sich hin. Im Abfluss lag eine weiche rosafarbene Substanz, die er mit dem Plastikgriff der Zahnbürste durch die Löcher in der Kupferplatte drückte. Warum, wusste er nicht, aber während er es tat, musste er an das volle Wohnzimmer in der Antonius Matthaeuslaan denken, in der Woche nach der Geburt. Seine komplette Schwiegerfamilie – man rauchte, schmierte einander Honig ums Maul, verzehrte die mit blau-weißen gezuckerten Anissamen bestreuten Zwiebacke, die er zusammen mit seiner ältesten Schwester in der Wohnküche vorbereitet hatte, während Margriets Vater auf dem Klo saß, ausgesprochen lange, wie er fand. Er hatte den alten Wijn riechen können. Ihn störte das, der ungehobelte Kerl hinter der Klotür, es erinnerte ihn daran, dass ihr kleiner Sohn da oben in seiner Wiege die Gene des auf diesem Klo sitzenden Mannes in sich trug. Er war unglücklich.
    Du hast ihn zersägt. Er versuchte, sich aufzurichten, die Rippen steckten wie Säbel in seinem Rumpf, er musste sich am Türrahmen aus Aluminium festhalten. Die vernichtende Kraft, die sich ihn nun vorknöpfte, lastete auf seinen Schultern wie ein Basaltblock, schon jetzt, keine punktuelle Last im Maßstab seines Lebens – sie war immens. Du hast ihn ermordet, und anschließend hast du ihn zersägt.
    Das Unbehagen und die Freude, als das Kind geboren war. Freude, weil er dem Wijn-Clan etwas entgegensetzen konnte. Seine eigenen Eltern waren tot und begraben, er stand allein gegen Wijk C. Das Unbehagen wog stärker, entstand aus der Vermischung seiner Gene mit denen dieser Utrechter Proleten – aber das Kind war zumindest ein Sigerius. Wenn er sich Phantasien darüber hingab, das Weite zu suchen, weg von Margriet, dann nahm er in diesen Tagträumen seinen kleinen Sohn immer mit –
    Sein erfrorener Sohn, Siem Sigerius’ zersägter Sohn, Aas lag in seinem Schuppen, ein Fleischklumpen, der auftauen und stinken und ihn verraten würde. Der Zorn Den Haags würde über ihn kommen, ein landesweiter Fluch, in seinem Nervensystem erhob sich der graue Koloss der Justiz, innerhalb kürzester Zeit würde feststehen, dass es Mord war. Dahinter dräute noch Gnadenloseres: die Medien, diese Scheißmedien, die geifernde Presse, die internationale Presse, fette Schlagzeilen, triefende
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