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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut
Autoren: Arne Dahl
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üppige Mähne wieder am Platz. Sein Mobiltelefon klingelt während der Debatte auf der Buchmesse, neuer Sohn, die Champagnerkorken knallen, und als er nach Hause kommt, sind sie fort. Und wieder liest er, und in einem letzten Bewußtseinsschub denkt er, daß etwas von all dem, was er gelesen und geschrieben hat, vorüberfliegen sollte, doch das einzige, was er sieht, ist er selbst, lesend und schreibend, und in einer letzten glänzenden Klarheit, die ihm das Gefühl eingibt, in Aufrichtigkeit zu sterben, erkennt er, daß nichts von dem, was er gelesen und geschrieben hat, irgend etwas bedeutet. Er hätte ebensogut etwas ganz anderes tun können.
    Er denkt an die Drohungen. »Niemand wird deine Schreie hören können.« Daran, daß er die Drohungen nicht ernst nahm. Weil er vermutete ... Ein letzter Schmerzschub löscht den letzten Gedankengang aus.
    Dann beginnt das Ende. Der Schmerz verebbt. Die Bilder sind jetzt schnell. Als wäre es eilig.
    Er geht im Demonstrationszug, der Polizist hebt den Schlagstock über ihm. Er steht im Sommergarten, das Pferd kommt immer rascher auf ihn zu. Eine kleine Blindschleiche gleitet in seine Gummistiefel und windet sich zwischen seinen Zehen. Der Vater schaut zerstreut auf seine Zeichnung der riesigen Schlange. Die Wolken ziehen über der Kante des Verdecks vorbei, und er meint eine Katze zu sehen, die sich da oben bewegt. Süße Milch spritzt über sein Gesicht. Der dicke hellgrüne Strang weist den Weg, und er treibt durch dunkle, fleischige Kanäle.
    Dann treibt er nicht mehr.
    Irgendwo denkt es: »Was für eine schäbige Art zu sterben.«

2
     
    Paul Hjelm war davon überzeugt, daß es reglose Vormittage gab. Und er war sich ganz sicher, daß dieser Spätsommermorgen ein solcher war. Kein Blatt regte sich in den verkümmerten Grünanlagen des Innenhofs. Und auch in dem Büro, aus dessen Fenster er hinausstarrte, bewegte sich kein Staubkorn. Außerdem waren unterhalb seiner Schädeldecke nur äußerst wenige Gehirnzellen in Bewegung. Mit anderen Worten: Es war ein unbeweglicher Morgen im Polizeipräsidium auf Kungsholmen in Stockholm.
    Leider war es auch ein unbewegliches Jahr gewesen. Paul Hjelm gehörte dem Polizeikommando an, das im Vorjahr mit der Ermittlung der sogenannten Machtmorde befaßt gewesen war, als ein Serienmörder zielbewußt die Elite des schwedischen Wirtschaftslebens auszuradieren begann. Weil die Ermittlung ein Erfolg war, wurde die Gruppe in eine ständige Spezialeinheit beim Reichskriminalamt aufgenommen, als eine Kapazitätsreserve für »Gewaltverbrechen von internationalem Charakter«, wie die offizielle Formulierung lautete. In der Praxis handelte es sich darum, mit der neuen Form von Kriminalität Schritt zu halten, die die Grenzen Schwedens noch nicht ernstlich erreicht hatte.
    Da lag auch das Problem. Das Land war im Laufe des letzten Jahres nicht von weiteren ausgeprägten »Gewaltverbrechen von internationalem Charakter« heimgesucht worden, und deshalb richtete sich immer mehr interne Kritik gegen die Existenz der A–Gruppe. Eigentlich hieß sie nicht A–Gruppe, das war nur der Name, auf den man sich in leichter Panik geeinigt hatte, als die Gruppe vor eineinhalb Jahren von heute auf morgen gebildet worden war. Aus formalen und aus Gründen der Existenzberechtigung hieß die Gruppe jetzt »Spezialeinheit beim Reichskriminalamt für Gewaltverbrechen von internationalem Charakter«, und weil die Bezeichnung unmöglich auszusprechen war, ohne daß man anfing zu lachen, benutzte man inoffiziell weiter den Namen A–Gruppe, der an und für sich nicht weniger komisch war, aber zumindest einen gewissen emotionalen Wert hatte. Und man war jetzt auf dem besten Weg, zu den Annalen gelegt zu werden. Relativ beschäftigungslose öffentlich Bedienstete entsprachen kaum der Tonart der Zeit, und die Gruppe wurde ganz allmählich aufgelöst; sie wurde mit diversem Kleinkram behelligt, und ihre Mitglieder wurden hierhin und dahin ausgeliehen. Obwohl ihr formaler Chef Waldemar Mörner, Abteilungsleiter bei der Reichspolizeiführung, wie ein Verrückter schuftete, schien die Saga der A–Gruppe bald zu Ende zu sein.
    Was sie brauchten, war ein robuster Serienmörder. Von robustem internationalem Charakter.
    Paul Hjelm starrte unbeweglich in den unbeweglichen Morgen, sah ein kleines Blatt, eins der wenigen gelben, zittern und auf den tristen Beton des Innenhofs fallen. Als sei es die Vorwarnung eines Orkans, zuckte er zusammen, und das Zucken brachte ihn wieder
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