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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut
Autoren: Arne Dahl
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durchbrechen.
    Es stimmte nicht mal, daß der Plumpsack umging.
    Es gab so etwas wie Vergebung. Erst jetzt verstand er das.
    Tommy kam aus der Küche. Die Kaffeekanne hoch erhoben. Auf der Türschwelle blieb er verblüfft stehen und zog sich das nasse Käppi vom Kopf. »Aber verdammich, Vater«, sagte er. »Weinst du?«

32
     
    Paul Hjelm trat aus dem Präsidium. Er blieb einen Augenblick vor dem Eingang stehen; ein Gefühl sagte ihm, daß etwas nicht stimmte. Dann ging er wieder hinein, um seinen Schirm zu holen.
    Er kam von neuem heraus. Aber er war davon überzeugt, daß er fast einen Monat im Inneren des Schiffs umhergeirrt war. Jetzt war er wieder draußen. Es war eine richtig kalte Herbstnacht.
    Er spannte den Schirm auf; die kleinen Polizeilogos blickten machtlos auf ihn herab – der Regen schien horizontal und von allen Seiten zugleich zu kommen. Nach ein paar Metern auf der überfluteten Bergsgata war der Schirm zerfetzt; er warf ihn an der Treppe zur U–Bahn in einen Papierkorb.
    Er hatte Ray Larner angerufen und ihm bedenkenlos den Fall bis ins kleinste Detail erzählt. Die Konsequenzen waren ihm scheißegal.
    Larner hatte zugehört, ohne ein einziges Wort zu äußern. Am Ende sagte er nur: »Was Sie auch tun, Jalm, suchen Sie nicht weiter. Sie werden sonst wahnsinnig.«
    Er würde nicht weitersuchen, aber er würde weiterdenken – das würde er nicht abstellen können, das wollte er nicht abstellen. Der Fall K. würde für immer in seinem Bewußtsein bleiben. Oder im Unterbewußtsein. Er hielt unheimliche, furchtbare Einsichten bereit, an die er gerade nur gerührt hatte. Und Einsichten waren trotz allem von Vorteil; er war Rationalist genug, um daran festzuhalten. Die Frage war nur, welche Wirkung auf die eigene Psyche man ihnen gestattete. Und in diesem Fall bestand die Gefahr, daß sie ihn wahnsinnig machen würden, soviel sah er ein.
    Wayne Jennings hatte eine dem Anschein nach hoffnungslose Unterlegenheit in einen glockenreinen Sieg gewendet, und Hjelm spürte widerwillig einen Stich von Bewunderung.
    Und wer konnte eigentlich sagen, ob es ein Fortschritt oder ein Rückschlag war? Wer wußte heute, zu welchen Konsequenzen die Enthüllungen der drei irakischen Offiziere geführt hätten, wenn die Medien sie verbreitet hätten? War es wirklich so, daß allein die Medien es mit der militärischen und wirtschaftlichen Macht aufnehmen konnten? Oder waren eher die Medien selbst die einzige reale Bedrohung? Und war der Fundamentalismus die einzige reale Alternative zum entfesselten freien Markt? Nichts, was er sah, wirkte besonders attraktiv.
    Was war wertvoll im menschlichen Leben? Welche Art Leben wünschen wir uns, und welche Art Leben wünschen wir für andere? Welchen Preis bezahlen wir dafür, so gut zu leben, wie wir es tun? Sind wir bereit, diesen Preis zu entrichten? Und was tun wir, wenn wir nicht dazu bereit sind?
    »Ich habe ein halbes Jahr lang den Baß nicht gekitzelt«, hatte Jorge gesagt und ein paar Saiten auf einem fiktiven Kontrabaß gezupft. »Jetzt fahre ich nach Hause und spiele die ganze Nacht, bis die Polizei kommt und mich mitnimmt.«
    Menschen waren in ihren Armen gestorben, Köpfe vor ihren Augen vom Rumpf getrennt worden, das Blut der Opfer hatte sie gezeichnet, und niemand außerhalb ihres eigenen engen Kreises würde jemals davon erfahren. Was konnten sie tun? Spielen. Und ihre ganze geschwärzte Seele ins Spiel legen. Irgendwohin mußten sie damit.
    Er kaufte eine Abendzeitung und fuhr das klitzekleine Stück vom Rathaus bis zum Hauptbahnhof. Er las die Schlagzeilen. »Noch keine Spur vom Kentuckymörder. Polizei verteidigt Passivität unter Hinweis auf Sparmaßnahmen und Personalmangel.«
    Es war Mörner gewesen, der sich geäußert hatte. Hjelm lachte so laut, daß die Leute im U–Bahnwagen ihn anstarrten. Es interessierte ihn nicht.
    Auch das Spiel hinter den Kulissen, das jetzt folgen würde, interessierte ihn nicht. Im Moment empfand er nur ein Bedürfnis: die Ohrstöpsel in die Ohren zu stopfen und in einem U–Bahnsitz zu versinken.
    Meditations mit John Coltrane. Er trat in den vagen Zustand auf halbem Weg zwischen Wachen und Schlafen ein, den kleinen privilegierten Raum des Friedens.
    Etwas war vor kurzem nach Schweden hereingekommen. Glaubten wir. Die Wahrheit war, daß es längst hier war und nur noch geweckt zu werden brauchte.
    Er würde sich ein Klavier anschaffen. Dieser Entschluß reifte, als er durch den regenschweren Vorort lief. Die einheitlich
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