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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut
Autoren: Arne Dahl
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ausgerichteten Hausfassaden betrachteten ihn durch die fliegenden Nebel. Er ging langsam und kümmerte sich nicht um den Regen. Sollte er ruhig in jede Pore eindringen.
    Es schien kein Mond. Es war lange her, seit er einen richtigen Mond gesehen hatte. In den USA hatte er keine Zeit gehabt, zum Himmel zu schauen. Er war Kerstin auf eine Art und Weise nahegekommen, wie er es nicht erwartet hatte. Irgendwo in seinem Innern hatte er sich nach ihr gesehnt, aber seine infantilen Träume von einer seichten Bettgeschichte hatten sich in etwas völlig anderes verwandelt. Wurde er alt? Oder war er im Begriff, erwachsen zu werden?
    Er kam zu dem Reihenhaus. Es sah grau und trist aus, genauso unpersönlich wie die Hochhäuser, allerdings mit dem Hauch einer Statuserhöhung. Alles war Fiktion. Nichts war das, was es dem Anschein nach war.
    Vor allem war es nicht grau und trist. Nicht im Innern. Das war immerhin etwas. Eine kleine Spur von Versöhnung mit dem, was hinter ihm lag.
    Er hatte, wie Larner es ausgedrückt hatte, ganz allein »the fucking Kentucky Baby« gefangen. Naja. Der Impuls jedenfalls war von ihm ausgegangen. Zwei Impulse. Daß der eine Mörder davongekommen war, das war nicht sein Fehler, es war mehr ein Naturgesetz. Zumindest konnte er sich das eine Weile einbilden.
    Auf dem Sofa saß Cilla. Eine Kerze brannte vor ihr. Sie las in einem Buch.
    »Du kannst doch bei diesem Licht nicht lesen«, sagte er. »Du verdirbst dir die Augen.«
    »Nein«, sagte sie und legte das Buch zur Seite. »Das ist eine von diesen verbreiteten Unwahrheiten. Man verdirbt sich nicht die Augen, wenn man bei zu wenig Licht liest. Es kann nie zu wenig Licht werden.«
    Er lächelte vage und ging zu ihr. »Warte, setz dich noch nicht«, sagte sie und verschwand. Sie kam mit ein paar Handtüchern zurück und legte sie aufs Sofa. Er setzte sich darauf.
    »Ich hätte sie doch selbst holen können«, sagte er.
    »Ich wollte sie holen«, entgegnete sie. »Wenn das in Ordnung ist.«
    Eine Weile war es still.
    »Was liest du?« fragte er schließlich.
    »Dein Buch«, sagte sie und hielt Kafkas Amerika in die Höhe. Du kommst ja doch nie zum Lesen.«
    »Wie gefällt es dir?«
    »Knifflig«, sagte sie. »Aber wenn man erst einmal reingekommen ist, kann man es nicht mehr weglegen. Wenn man glaubt zu verstehen, genau dann versteht man, daß man nichts versteht.«
    »Ich verstehe«, sagte er nur.
    »Tust du das?« sagte sie.
    Sie lachten beide.
    Sie berührte seine Kleider. »Du bist wirklich naß«, sagte sie. »Ich ziehe sie dir aus.«
    »Du brauchst nicht...«
    »Doch«, sagte sie. »Ich brauche.«
    Sie zog ihn langsam aus. Er erlaubte sich, es zu genießen, vorbehaltlos.
    »Ich finde bestimmt Zeit, jetzt ein bißchen mehr zu lesen«, sagte er, während sie ihm die Hose abpellte. »Und ein bißchen mehr Zeit füreinander bekommen wir auch.«
    »Ihr habt diesen Montanamörder aber doch immer noch nicht gefaßt?«
    »Kentuckymörder.«
    »Wann kriegt ihr ihn denn eigentlich?«
    »Nie«, sagte er ruhig.
    Sie zog ihm seine Unterhose aus und warf sie auf den klatschnassen Kleiderhaufen auf dem Fußboden. Dann betrachtete sie ihn. »Du siehst gar nicht so übel aus, Paul Hjelm«, sagte sie. »Für einen Beamten im niederen Dienst und in mittleren Jahren.«
    »Und du siehst auch nicht so übel aus«, sagte er. »Wie du merkst.«
    Sie lachte und fing an, sich auszuziehen. Er streckte die Hand nach der Kerzenflamme aus.
    Er löschte sie und verbrannte sich. »Au, verdammt«, sagte er.
    »Du bist so tolpatschig«, lachte sie und legte sich neben ihn.
    Er betrachtete den Docht, dessen Glut langsam erlosch, bis kein Licht mehr da war.
    »Es kann nie zu wenig Licht werden«, sagte Paul Hjelm und gab sich hin.
    Draußen strömte der Regen weiter.
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