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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut
Autoren: Arne Dahl
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unmöglich zu sagen, was sie dachte. Da waren Trauer, Schmerz – und eine Kraft, die glatt das Dunkel durchdrang. »Danke«, sagte sie nur.
    »Wisch es ab«, sagte er. »Er hat Wayne Jennings' Fingerabdruck auf der Nase.«
    »Jahn & Halm«, sagte sie und lächelte. »In einer anderen Welt hätten wir ein echtes Komikerpaar abgeben können.«
    Er beugte sich vor und küßte sie auf die Stirn. »Wir sind eins«, sagte er.

31
     
    Gunnar Nyberg ging tatsächlich hinunter zu den Arrestzellen. Er kam kochend vor Zorn aus der »Kampfleitzentrale« und wußte nicht, wohin mit seinem Zorn. Dreimal hatte ein Sohnesmörder ihm körperlichen Schaden zugefügt. Jetzt war da ein anderer Vater im Haus, der seinen Sohn ermordet hatte. Als Jennings verschwand, kam Lasse Lundberg an dessen Stelle. Nybergs erster Impuls war, Bennys Vater all das zuzufügen, was Lamars Vater zuzufügen ihm mißlungen war. Er schüttelte alle Proteste der Wachen ab und betrat den Arresttrakt. Er war schon bei Lundbergs Zelle, als er innehielt. Er sah durch die Klappe. Lasse Lundberg saß mit den Ellenbogen auf den Knien, das Gesicht in den Händen vergraben. Die ganze Gestalt bebte unkontrolliert. Nyberg betrachtete ihn ein paar Sekunden. Dann wandte er sich abrupt um, eingedenk der Sünden eines gewissen anderen Vaters.
    Er fuhr nach Östhammar. Es war weit. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken, aber seine Gedanken waren in die Nachwehen einer doppelten Gehirnerschütterung eingehüllt. Dieser Job, der ein ruhiger und schöner Fall in Erwartung der Pension werden sollte. Kein persönliches Engagement, keine Risiken, keine übertriebenen Überstunden. Abnehmen und ruhiges Dahinvegetieren. Und was war statt dessen daraus geworden, verdammt?
    Norrtäljevägen stand unter Wasser. Die Fahrbahn hatte mehr flüssige als feste Form. Bergauf kamen ihm die Wassermassen entgegen, bergab glitt er mit ihnen. Es kam ihm nach und nach lächerlich vor.
    Er passierte Norrtälje. Er passierte Hallstavik und Grisslehamn in einiger Entfernung, dann war er in Östhammar. Es war ein stilles und entvölkertes kleines Dorf. Die Ferienstockholmer waren wieder in der Stadt, Östhammar war als das identifizierbar, was es tatsächlich war, ein kleines Bauerndorf.
    Mit Hilfe der überaus detaillierten Polizeikarte gelangte er weiter und weiter aufs Land. Die Wege waren beinah unpassierbar. Die Räder drehten im Matsch durch. Es schüttete unverdrossen. An einer Stelle mußte er aussteigen; das linke Hinterrad des Renault steckte in einem wahren Krater fest. Er wurde stocksauer und schaffte es, in seiner Wut die Scheißkarre herauszuheben.
    Kurz darauf kam er an einen Bauernhof. Das Gehöft tauchte auf der Kuppe einer kleinen Anhöhe auf, und es kam ihm so vor, als sei sie nicht einfach zu meistern. Er gab Gas und nahm Schwung. Er schaffte es mit Mühe und Not.
    Neben der Scheune stand ein Traktor, dessen gewaltiges Hinterrad zur Hälfte im Schlamm versunken war. Ein großgewachsener Mann mit gelbgrüner Schirmmütze, blauen Arbeitshosen und grünen Stiefeln, die Schuhgröße 54 haben mußten, hockte daneben. Er hatte Nyberg den Rücken zugewandt, der gerade aus dem Wagen stieg und im strömenden Regen stehenblieb. Der Mann schlug mit der Faust gegen den Traktor, der daraufhin noch ein Stückchen tiefer in den Matsch sank. Da wurde er fuchsteufelswild und schimpfte: »Scheißtraktor!«
    Und dann hob er den Traktor aus dem Loch.
    In dem Moment erkannte Gunnar Nyberg, daß er hier richtig war.
    Er trat ein paar Schritte näher. Schließlich hörte ihn der große Bauer. Er drehte sich um. Eine gigantische Mumie näherte sich im wasserfallartigen Regen, ein Anblick, der jeden normalen Menschen umgeworfen hätte. Doch nicht diesen Bauern. Er kam ihr entgegen. Bald sah Nyberg sein Gesicht. Er war um die Fünfundzwanzig und sah exakt aus wie er selbst in dem Alter. Aber er war nicht Mister Sweden – er war Bauernbursche. Und er sah aus, als ginge es ihm bedeutend besser, als es Mister Sweden gegangen war.
    Ein paar Meter vor Gunnar Nyberg hielt er plötzlich inne. Erkannte Tommy Nyberg sich selbst oder seinen Vater? »Vater?« sagte er mit Donnerstimme.
    Gunnar Nyberg wurde von einer warmen Welle durchströmt. Der nächste Schritt würde alles entscheiden.
    Tommy Nyberg kam ganz dicht heran und nahm ihn genauer in Augenschein. Dann zog er seine Arbeitshandschuhe aus und streckte ihm die Hand hin. »Seh ich richtig? Vater, verdammich! Und immer noch Bulle, wie ich sehe?«
    Nyberg
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