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Böses Blut

Böses Blut

Titel: Böses Blut
Autoren: Arne Dahl
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Hinter den Blicken, die sie wechselten, verbargen sich Abgründe, an die auch nicht gerührt worden war, doch es schien immer offensichtlicher, daß dies nicht so bleiben konnte. Nicht einmal das gute Verhältnis zu Jan–Olov Hultin, seinem Chef, und zu den Kollegen Gunnar Nyberg und Jorge Chavez schien unverändert geblieben zu sein. Er sah die kleine Modellbahn in seinem geschlossenen Zimmer unentwegt im Kreis fahren.
    Und schließlich der grauenvolle Gedanke, daß das einzige, was sich eigentlich verändert hatte, er selbst war. Denn bei ihm war wirklich manches anders geworden. Er stellte fest, daß er Musik hörte, von der er sich früher ferngehalten hatte, und er verschlang Bücher, deren Existenz ihm bis dahin verborgen geblieben war. Er warf einen Blick zum Schreibtisch, auf dem ein tragbarer CD–Spieler und ein zerlesenes Taschenbuch die Rücken aneinander rieben. Auf der CD war etwas so Mystisches wie John Coltranes Meditations, eine der letzten Aufnahmen des Saxophonmeisters, eine merkwürdige Mischung von wilder Improvisation und stiller Andacht, und das Buch war Kafkas Amerika, der in Schweden am wenigsten beachtete Roman des Autors, doch auf eine gewisse Art und Weise der kurioseste. Die Ereigniskette, die einsetzt, als der junge Karl im Hafen von New York an Land gehen will, merkt, daß er seinen Schirm vergessen hat, und noch einmal zum Dampfer zurückkehrt, würde Paul Hjelm nie vergessen. Er war davon überzeugt, daß es solche Szenen waren, die sich in einem abspulen, wenn man im Begriff war zu sterben.
    Manchmal lastete er das Bild der Modelleisenbahn den Büchern und der Musik an. Vielleicht wäre er glücklicher, wenn er auch weiterhin freie Weiten und lange Geraden um sich her sähe.
    Sein Blick kehrte zum Innenhof zurück. Das kleine gelbe Blatt lag noch da. Alles war unbeweglich.
    Dann plötzlich, ohne Vorwarnung, wurde das Blatt hochgehoben wie von einem spiralförmigen Wirbelwind, weitere Blätter wurden losgerissen, gelbe wie grüne, und führten einen wilden und bunten Tanz zwischen den Fassaden des Polizeipräsidiums auf. Der Tanz hörte ebenso abrupt auf, der einsame Wirbelwind zog unsichtbar weiter, und alles, was zurückblieb, war ein Laubhäufchen auf dem traurigen Zement.
    Die Tür wurde aufgerissen. Jorge Chavez kam herein. Die Anwesenheit dieses dreißigjährigen Energiebündels als Banknachbar bewirkte immer, daß Hjelm sich ein Jahrzehnt älter fühlte. Allerdings war er in der Regel bereit, sich damit abzufinden; Chavez war inzwischen einer seiner besten Freunde. Er war vom Polizeibezirk Sundsvall, wo er sich als einziger Kanakenbulle von Norrland bezeichnet hatte, zur A–Gruppe gestoßen. Aber eigentlich war er Stockholmer, Sohn chilenischer Flüchtlinge aus Ragsved. Hjelm konnte sich nie ganz erklären, wie Chavez die Aufnahmeprüfung an der Polizeihochschule geschafft hatte; er war im Höchstfall eins siebzig groß. Anderseits war er einer der cleversten Polizisten im ganzen Land – jedenfalls der energischste, den Hjelm je getroffen hatte. Und er war ein Jazzbassist der Extraklasse.
    Die kompakte kleine Gestalt glitt lautlos an ihre Seite des doppelten Schreibtischs, nahm das Achselhalfter vom Stuhl, legte es an, kontrollierte die Dienstwaffe und zog das sommerleichte Leinenjackett darüber. »Irgendwas ist los«, sagte er kurz. »Auf den Fluren tanzt der Bär.«
    Hjelm begann ein wenig zögernd, Chavez' Bewegungsschema zu kopieren. »Tanzt der Bär, wieso?«
    »Schwer zu sagen. Aber in weniger als einer halben Minute wird Hultins Stimme zu hören sein, da kannst du sicher sein. Kleine Wette gefällig?«
    Paul Hjelm schüttelte den Kopf. Er betrachtete die CD und das Buch auf seinem Schreibtisch, warf einen Blick auf den Laubhaufen im Innenhof, schüttelte seine Lethargie ab und nahm Platz in der Lok. Die Zeit nahm eine neue Gestalt an.
    Eine Stimme sprach kurz und bündig aus dem Haustelefon; sie gehörte dem operativen Chef der A–Gruppe, Kriminalkommissar Jan–Olov Hultin: »Alles zu mir. Besprechung. Sofort.«
    Hjelm zog die Lederjacke über das Achselhalfter und war ganz da, hundertprozentig zur Stelle. Gemeinsam hasteten die beiden den Gang hinunter zu dem Raum, der einst zur »Kampfleitzentrale« erklärt worden war und diesen Namen vielleicht – dachte Hjelm hoffnungsvoll – bald wieder bekommen würde. Auf dem Weg den Korridor hinunter flog eine Tür auf, Chavez genau in die Visage. Viggo Norlander tauchte auf, ohne dem Vorfall die geringste Beachtung zu
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