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Bodenrausch

Bodenrausch

Titel: Bodenrausch
Autoren: Wilfried Bommert
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Füssen von 70000 auf 600000 Hektar und betreibt darauf mittlerweile 9000 Gasfabriken. Tendenz weiter steigend.
    Nicht anders geht es dort zu, wo neuerdings Solarparks aus der Landschaft wachsen. »Hallo, weiß jemand, wie viel an Pacht diese Solarparkbetreiber an den Landwirt zahlen für die Bereitstellung von Acker- oder Grünland?«, fragt »Hl 1937« im Internetforum »Landtreff«. Das Netz hat mehrere Antworten für ihn bereit, die beste kommt von »Automatix«: »Bei uns wird zurzeit auch eine Anlage geplant, die sollen angeblich 1900 Euro Pacht bieten – da fragt man sich ernsthaft, ob es noch sinnvoll ist, Nahrungsmittel zu produzieren anstatt Strom […].«
    Das Fotovoltaikfieber breitet sich vor allem südlich des Weißwurstäquators aus und sorgt innerhalb und außerhalb der Dörfer für deftigen Streit. Darf man seinen Getreideacker einfach mit Solarpaneelen zupflastern in einer Zeit, wo 1 Milliarde Menschen auf der Welt hungern und der Nachbar das Land auch gut brauchen könnte, um mit seinem Rindvieh über die Runden zu kommen? Die Moral wird bemüht, die Vaterlandsliebe, der Bauernverband versucht, sich mit Standesbewusstsein gegen die Solaräcker zu wehren. Auf dem Acker dürfe nur wachsen, was dort auch heimisch sei, also Kraut und Rüben, Kartoffeln und Sonnenblumen und Mais. Mais? Ja, Mais für Biogasanlagen!
    Biogasanlagen, das ist die Flanke, auf die die »Solarstromer« nur gewartet haben. Man solle doch erst einmal nachrechnen, bevor man den Mund so voll nehme, bloggen sie zurück. Erstens würden die Solaräcker von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, auch wenn sie direkt in ihrer Nähe entstünden. Das stellt eine FORSA-Umfrage für Fotovoltaikkraftwerke fest. 8
    Und zweitens stünden die wirklichen Flächenverschwender längst auf dem Acker. Die Energiepflanzen für Agrosprit, die wüchsen schon auf 10 Prozent der deutschen Äcker, brächten aber nur eine Energieausbeute von einem Sechstel dessen, was Solarpaneele auf derselben Fläche einsammeln könnten, rechnete die Fachzeitschrift Photon der Netzgemeinde vor. Und kommt zu dem Schluss: »Rein quantitativ könnte die Photovoltaik auf der heute schon für Biomasse genutzten Fläche den ganzen deutschen Energiebedarf bestreiten.« 9
    Kann sie aber noch nicht, und deshalb geht auch im Süden der Republik der Kampf um die Äcker in eine neue Runde. Auch hier reden die Bauern nicht gern darüber, wem sie ihr Land verpachten oder von wem sie es nicht mehr verpachtet bekommen. Es wäre das Eingeständnis ihrer wirtschaftlichen Niederlage gegenüber der Energiewirtschaft.
    Professor Ludwig Theuvsen von der Universität Göttingen fürchtet, dass diese Art der Preistreiberei am Ende nicht nur bestimmt, was auf den Feldern wächst, sondern auch, was für Brot, Fleisch, Wurst und Eier gezahlt werden muss – Inflation durch Biogas und Solarstrom. 10 Diesem Punkt rückt Deutschland bereits erheblich näher. Erstmals seit 25 Jahren muss 2012 voraussichtlich wieder Getreide importiert werden, so das Magazin Focus zu Jahresanfang, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert den Agrarstatistiker Georg Keckl: »Wir haben eine zunehmende Verdrängung von Getreide durch Mais für Biogasanlagen.« 11
    Die große Landverschiebung von Bauernland in Bonzenhand verändert nicht nur die Besitzverhältnisse, sondern auch die Art, in der das Land bewirtschaftet wird. Das Ende des Bauerntums und der Beginn einer neuen industriellen Revolution liegen über dem Land, nicht nur zwischen Köln und Cottbus, weiter östlich sprengt dieser Umbruch alle Grenzen bäuerlicher Landwirtschaft. Das Kapital übernimmt in Osteuropa und darüber hinaus.
    AGRARKONZERNE IN OSTEUROPA
    Die Ukraine war einst Bauernland, die Kornkammer Europas, aber die Misswirtschaft der Kolchosen in der Sowjetära und die finsteren Zeiten des Diktators Stalin, in denen Wellen von Gewalt, Willkür und Enteignung über das Land rollten, haben es so geschwächt, dass es sich auch im neuen Jahrtausend nur langsam erholt. Was die Mähdrescher auf den Kolchosen beim Zusammenbruch der Sowjetunion noch ernteten, war ein Drittel dessen, was die schwarzen Böden in guten Zeiten hergaben. Übrig geblieben sind von den Kollektiven vielfach nur Ruinen, verrottete Maschinen und Felder voller Disteln und Brennnesseln. Nach dem Aus der sozialistischen Großbetriebe haben sich die Kleinbauern ihre Ländereien zurückgeholt, ein paar Hektar, die zum Leben nicht reichten, aber zum Sterben zu viel
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