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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind
Autoren: Jakob Melander
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werden es wohl nie erfahren. Es gibt viele einsame Menschen, die jemanden vermissen, für den sie sorgen können. Manche von ihnen … finden andere Formen, damit umzugehen.«
    »Die meisten würden sagen, er war nicht ganz richtig im Kopf.«
    »Das ist gewiss untertrieben.« Sanne steckte die Fotos in einen Umschlag. »Koes arbeitete als Krankenträger im Gentofte Hospital, du hast ja seinen Oberkörper gesehen. Der Job verschaffte ihm freien Zugang zu Chloroform und Glutaraldehyd.«
    Draußen trat jemand aus dem Chaos heraus.
    »Das nenn ich ja mal ein Mittsommernachtsfeuer, das ihr hier veranstaltet habt!« Frelsén steckte seinen Kopf in den Krankenwagen. Die Gläser der goldeingefassten Brille reflektierten den Schein des brennenden Hauses. Hinter ihm stand Bint. Er betrachtete die lodernden Flammen, schüttelte den Kopf.
    »Ihr werdet hier alles umgraben müssen.« Lars griff sich an die Seite. »Es gibt mehr als die drei, die wir bereits kennen.« Er zeigte auf den Umschlag in Sannes Hand.
    »Mist.« Bint betrachtete Koes’ Leiche. Die Decke über seinem Kopf war blutdurchtränkt.
    »Sanne, Lars.« Lisa nickte Frelsén und Bint zu. »Gut, dass ihr es herausgeschafft habt.«
    Lars schnitt eine Grimasse.
    »Wo ist Kim A .?«
    »Lisa hat uns in den Keller gebracht, als es anfing zu brennen«, berichtete Sanne. »Du kannst dich bei ihr bedanken, dass wir dich da rausbekommen haben.«
    Lisa lachte.
    »Lass niemals einen Kollegen in Schwierigkeiten allein. Außerdem hat Kim A . um seine Entlassung gebeten. Er will zum Geheimdienst.« Sie zuckte die Achseln.
    »Danke«, murmelte Lars. Die Augen fielen ihm zu. Der Kopf sank ihm auf die Brust.
    »So«, war das Letzte, was er hörte. »Er kann jetzt abtransportiert werden.«
    Das Geräusch von jemandem, der den Krankenwagen verließ, eine Tür wurde zugeworfen. Dann war er weg.
    Wenn er an seine Reise zurück ins Bewusstsein denkt, muss der Schrei, der sich durch die Schichten aus Schlaf bohrte, sein eigener gewesen sein. Aber es war nicht sein Schrei. Der Schrei war fremd und dennoch wohlbekannt, so bekannt, dass es wohl doch sein eigener gewesen sein muss.
    »Nein. Geht weg. Verschwindet!«
    Lars schlug die Augen auf. Ein stechendes weißes Licht. War er tot? Dann kehrten der Schrei und die Stimmen zurück. Endlich erkannte er, dass Maria schrie, und sofort versuchte er, seinen Körper aus dem Bett zu zwingen. Doch dann ging die Tür auf, und Elena steckte ihren Kopf herein.
    »Lars? Bist du wach?«
    Er nickte. Alles tat so verdammt weh.
    Elena schob eine leichenblasse Maria vor sich ins Zimmer. Sie legte ihren Arm um sie, zog sie näher ans Bett.
    »Papa?«
    Maria nahm seine Hand, flocht ihre Finger in seine. Er versuchte, sie anzulächeln. »Hast du geschrien?«
    Maria nickte, biss sich auf die Lippe.
    »Die Eltern dieses Jungen … Marias …« Elena hustete. »Er liegt offenbar auch hier auf der Abteilung. Sein Vater hat versucht, mit Maria zu reden. Ulrik hat ihn gestoppt.«
    Was war bei Christians Eltern vorgefallen?
    »Ulrik … kann er?« Elena zeigte auf die Tür.
    Lars schloss die Augen, schüttelte den Kopf. Gott, wie sehr er sich nach einer Zigarette sehnte.
    »Es heißt, du musst nur ein paar Tage hierbleiben, bis du wieder fit bist. Das Schlimmste ist die gebrochene Rippe.« Elena streckte ihre Hand aus, zögerte. Tätschelte dann die Decke über seinen Beinen.
    »Wo bin ich?«, fragte er. Sie sah hübsch aus, aber er spürte kein Kribbeln im Bauch mehr.
    »Im Rigshospital.« Sie griff nach ihrer Handtasche am Fußende des Bettes. »Ich gehe zu Ulrik.« Sie sah Maria an, strich ihr mit einem Finger über die Wange. Dann drehte sie sich um und klackerte auf unmöglich hohen Absätzen aus dem Zimmer.
    Maria hielt seine Hand, sah aus dem Fenster hinter ihm. Er schloss die Augen und stellte sich vor, was sie sah: die Baumkronen im Fælledpark, die diagonalen Linien der Wege. Ging die Sonne gerade auf?
    »Es heißt, dass Christian …«, begann sie, »… Caro und die anderen überfallen?«
    Er hielt die Augen geschlossen, nickte. Maria umklammerte seine Hand. So fest, dass es wehtat. Beide sagten kein Wort.
    »Wie …?«, brach Maria das Schweigen. »Was wolltest du gestern auf dem Fest?«
    Lars schluckte, sah sie an.
    »Caroline hat gesagt, ihr Vergewaltiger hätte gesummt … dabei. Ich konnte die Melodie nicht erkennen, aber …«
    »Tut mir leid, Papa.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht daran erinnern.«
    Lars drehte den Kopf,
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