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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind
Autoren: Jakob Melander
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stößt sich mit den Füßen ab, wirft sich nach vorn. Die Waffe gleitet hindurch, ein verblüfftes Grunzen, gefolgt von einem harten Klatschen. Dann wird alles ruhig.
    Die Kaskade von Schlägen hat aufgehört. Keuchend kriecht er zurück, kneift die Augen zusammen. Nur eine Sekunde.
    Die Zeit tickt. Sekunde folgt auf Sekunde. Hämmernde Schmerzen jagen stoßweise durch seinen bebenden Körper.
    »Blutwind«, flüstert Koes. Lars öffnet ein Auge, wartet auf die Schläge. Nichts passiert. Er schaut noch einmal hin. Etwas glänzt und schimmert in dem minimalen Fokus der Pupillen. Er blinzelt, öffnet beide Augen. Und sieht Koes’ zerschmettertes Gesicht. Die Nase zeigt seitlich nach oben, die Lippen sehen aus wie zwei aufgetriebene Seegurken, an den Wangen ist die Haut in einer großen, blutigen Wunde weggerissen. Zahnstumpen ragen aus dem blutigen Brei, der den Rest des Mundes bildet.
    Lars rutscht ein Stück zurück, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das Gewehr ragt in einem grotesken Winkel aus Koes’ Schulter. Lars’ letzter verzweifelter Ausfall hat Koes mit dem Bajonett an die Wand aus Munitionskisten genagelt.
    Kleine, wachsame Augen folgen Lars aus dem zerschlagenen Gesicht, während Blut aus der Schulterwunde sickert und den weichen Baumwollstoff des Hemdes durchtränkt. Koes’ freie rechte Hand zuckt. Bald wird er imstande sein, das Bajonett mit eigener Kraft herauszuziehen.
    Auf die Munitionskisten gestützt erhebt Lars sich versuchsweise und tastet die hintere Hälfte seines Gürtels ab. Er öffnet die Handschellen, schließt sie um Koes’ freie Hand, dann um den Griff aus Tau einer Munitionskiste. Koes wehrt sich, aber er ist zu schwach. Er hängt fest: Mit dem Bajonett in der linken Schulter an eine Kiste gespießt, mit der rechten Hand durch die Handschelle an eine Munitionskiste gefesselt. Lars setzt sich auf eine leere Kiste. Seine Beine zittern. Die Arme wollen kaum gehorchen, die Finger graben in der Tasche nach einer Zigarette. Die Schachtel ist zerknüllt, bis auf eine Zigarette sind alle zerbrochen. Er zündet sie an, zieht gierig und lässt den Tabak die Lunge füllen, ins Blut strömen.
    Er klopft sich auf die andere Tasche, holt sein Handy heraus.
    »Keine Verbindung …« Koes kichert.
    Lars ignoriert ihn und klappt das Telefon auf. Koes hat Recht, hier gibt es kein Netz.
    »Vater hat hier während des Krieges Waffen und Munition versteckt. Die Deutschen haben sie nie gefunden. Du kommst hier nicht wieder raus.«
    Koes’ Lachen endet in einem Röcheln. Blut spritzt über sein Hemd und den kahlen Boden.
    »Und der da …«, Koes nickt Christian zu, »… der wacht bald wieder auf.«
    Lars zuckt zusammen.
    »Er ist nicht tot?«
    Koes fängt wieder an zu summen, wendet den Kopf ab.
    Lars steht auf, mit wenigen Schritten ist er am Tisch und legt eine Hand an Christians Hals. Die Halsschlagader klopft beruhigend unter der Haut. Er sinkt auf dem leeren Stuhl neben Christian zusammen. Gott sei Dank. Dann fällt sein Blick auf die beiden geleeartigen Klumpen am Boden des Tellers, der vor dem Jungen steht. Sie starren Christian aus einer Pfütze aus Blut an.
    Die leeren Augenhöhlen? Gruben des Nichts in dem zerstörten Gesicht. Ein Zucken durchfährt Christians Körper. Er hebt den Kopf und wirft ihn hin und her, immer schneller. Als könnte er irgendetwas einfach nicht verstehen. Dann kommt der Schrei.
    Im selben Moment geht ein Seufzen durchs Haus. Ein Stoß, der das Fundament erzittern lässt. Koes’ Augen glänzen, die blutigen Lippen teilen sich zu einem grotesken Grinsen.
    Lars steht auf, er muss hinauf. Raus. Hilfe holen. Er geht einen Schritt auf die Treppe zu, schwankt. Sein Herz überschlägt sich. Noch einen Schritt, und die Knie versagen. Alles dreht sich und wird schwarz.

55
    Ulrik hatte eine Hundestaffel angefordert. Nun standen sie vor dem Grundstück und warteten. Eine Karte der Umgebung lag ausgebreitet auf dem Kühler eines Streifenwagens, der mit den Vorderreifen im Garten parkte. Allan untersuchte eventuelle Fluchtwege ins Moor. Die Nacht duftete nach Flieder und Mittsommernachtsfeuern.
    Sanne klickte Daumen- und Ringfingernagel gegeneinander. Wo war Lars?
    Die Einsatzkräfte untersuchten noch einmal das Haus. Es knackte in dem Walkie-Talkie, das Ulrik von Gustafsson bekommen hatte. Die ferne, metallische Stimme konnte die Aufregung nicht unterdrücken.
    »Wir haben gerade einen Schrei gehört! Es kam von unten!«
    Die Fensterscheiben des dunklen Gebäudes
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