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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind
Autoren: Jakob Melander
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gezwungen waren, die Suche abzubrechen.
    »Hört auf damit!«, rief sie. »Es muss irgendwo hier sein.« Über ihnen zischte und brodelte es, schwere Tropfen regneten auf das Haus. Die Feuerwehr hatte endlich begonnen zu löschen. Lisa verließ die Ecke, in der sie gesucht hatte, und kam zu Sanne.
    »Wo kann man hier eine Falltür verstecken?«, murmelte Sanne vor sich hin und strich sich eine dreckige Locke aus der Stirn. Ihre Brust hob und senkte sich. Das Atmen fiel schwer.
    Sie ließ ihren Blick dem Lichtkegel folgen. Von Kisten mit altem Küchengeschirr über Haufen von braungrünem Strickzeug und einem niedrigen Regal mit schweren, ledergebundenen medizinischen Büchern bis zu einer Vitrine an der Wand gegenüber. Stapel von alten Zeitungen. Wo könnte es sein? Wenn die Deutschen die Klappe schon nicht gefunden hatten, wie sollten sie dann den Eingang in den wenigen Minuten finden, die ihnen noch blieben, bevor das Haus über ihnen einstürzte? Panik schnürte ihr den Hals zu. Geschirr, Strickzeug, Regal, Vitrine, Zeitungen. Geschirr, Strickzeug, Regal, Vitrine, Zeitungen. Irgendwo musste es doch sein.
    Das Regal.
    Sanne richtete sich so plötzlich auf, dass sie beinahe mit dem Kopf an einen Deckenbalken gestoßen wäre. Mit einem Satz war sie bei dem Regal und zog daran.
    »Helft mir!«, zischte sie. Es brannte jetzt in den Augen, es pfiff, wenn sie Atem holte. Eher ahnte sie Lisa neben sich, als dass sie sie sah, die Schatten von Gustafsson und seinen Leuten kamen dazu. Gemeinsam schoben und zerrten sie das schwere Regal zur Seite. Und dort, an der Rückwand, im Schein der Stableuchten … nichts! Eine unversehrte Wandfläche, die nahtlos in die Außenmauer überging. Sanne fluchte. Es musste hier sein. Gustafsson hockte auf den Knien, drückte auf das weiße Quadrat, auf dem das Regal gestanden hatte. Nichts geschah.
    Er schüttelte den Kopf, erhob sich und trat einen Schritt zurück.
    Sanne ließ den Blick von der Wand zur Vitrine schweifen, die gut einen Meter über dem Boden hing. Das Glas der Türen war zerschlagen, große Teile fehlten. Auf den Böden der Vitrine stand angeschlagenes, schmutziges Porzellan zwischen ausgemusterten Teilen mit Muschelmuster. Alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Sie fasste hinein, fegte den Inhalt des ersten Regalbretts auf den Boden. Nichts. Dasselbe Resultat beim nächsten Brett. Irgendetwas stürzte oben das Treppenhaus hinunter und schlug auf dem Weg nach unten ans Geländer. Der Lärm war ohrenbetäubend. Die Vitrine zitterte. Sanne ließ die Hände über das leere Brett gleiten. Das schmutzige Schrankpapier wellte sich unter ihren Händen. Ihr rechter kleiner Finger fuhr über einen Nagel, ganz hinten in der rechten Ecke. Reflexartig drückte sie mit dem Zeigefinger auf den Nagel und zog überrascht den Finger zurück, als der raue Nagelkopf versank. Hinter der Vitrine knackte es, sie schwang nach vorn. Aus einem Loch strömte Licht, erfüllte den durchwühlten, verräucherten Kellerraum. Sie hörten eine nuschelnde Stimme schreien.
    »Hierher. Lars Winkler, Polizei. Ich brauche Hilfe.«
    Gustafsson und seine Leute schoben Sanne und Lisa beiseite und kletterten durch die Öffnung. Lisa lief nach draußen, um Bescheid zu geben und Unterstützung zu holen.
    Sanne schluckte. Dann kletterte sie der Einsatzgruppe durch das Loch nach.
    Sie sah Lars unten an der Treppe, Hände und Gesicht voller Blut und Schrammen. Sein Kopf lag auf der untersten Stufe, ein Arm hing auf der nächsten. Hatte er versucht, sich hinaufzuziehen? Einer der Männer beugte sich über ihn, zwei Finger an seinem Hals.
    Die Zeit steht still, der Mann, der sich über die Gestalt am Fuße der Treppe beugt, rührt sich nicht, die Szene ist wie in einem Tableau eingefroren. An einem Tisch in der Ecke sitzt ein nackter Junge, den Mund aufgerissen zu einem stummen Schrei. Blut sickert ihm übers Gesicht, leere Höhlen starren ins Nichts. Sekunden, Minuten vergehen, bevor sie in der Gestalt den jungen Mann erkennt, den Lars am Vortag verhört hat. Neben Christian sitzt eine nackte Frau am Tisch, zwei tote Augen glänzen in ihrem matten Gesicht. Ihre Haut hat dieselbe gelblich weiße Farbe wie bei Mira und der noch namenlosen Frau, die sie gestern Nacht in der Østre Anlæg fanden.
    Und an einer Munitionskiste sitzt mit eingeschlagenem Gesicht John Koes, den Kopf, das Hemd und den nackten Unterkörper mit Blut und Rotz verschmiert. Ein Handgelenk ist an den Handgriff einer Kiste gefesselt, der
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