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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind
Autoren: Jakob Melander
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andere Arm hängt schlaff herunter, die Schulter ist mit dem Bajonett eines alten Gewehrs an einer Munitionskiste fixiert.
    »Lebt er?«, flüstert Gustafsson.
    Der Mann, der sich über Lars beugt und ihm die Finger an den Hals hält, nickt Gustafsson zu, und mit dieser Bewegung schmilzt die eingefrorene Zeit und fängt wieder an zu laufen. Der Mann legt sich Lars’ Arm über die Schulter und transportiert den Kollegen die Treppe hinauf. Er lebt. Halb stolpert, halb läuft Sanne hinunter, greift nach dem anderen Arm, hilft. Gemeinsam gelingt es ihnen, ihn die Treppe hinaufzuschaffen, obwohl seine Beine immer wieder versagen. Aus den Augenwinkeln sieht Sanne, wie Gustafsson die Handschelle löst, die Koes an die Munitionskiste fesselt. Einer seiner Männer zieht das Bajonett heraus. Der letzte Beamte hilft Christian auf die Beine.
    Im Haus über ihnen knackt und kracht es.
    Gustafsson und sein Kollege stellen Koes auf die Beine. Sein Körper zuckt spastisch, als er einen Blick voller Sehnsucht und Untergang auf die tote Frau am Tisch wirft. Dann wird er über die Treppe nach oben gebracht; Gustafsson und der andere Beamte haben ihn in die Mitte genommen.
    Plötzlich geht alles viel zu schnell.
    Koes dreht sich zu Gustafsson um, sein Kiefer schließt sich um Gustafssons Nase, gleichzeitig stößt er den anderen Polizisten mit einem brutalen Ellenbogenschlag die Treppe hinunter. Gustafsson schreit, seine Finger versuchen, Koes’ Augen zu finden, doch Koes wirft den Kopf hin und her und lässt seine Kiefermuskeln arbeiten. Sein Unterkiefer mahlt. Dann ist Gustafsson frei, er fällt mit einem bluterstickten Aufheulen jammernd hintenüber, eine Blutspur hinter sich herziehend. Der Beamte, den Koes die Treppe hinuntergestoßen hat, zieht seine Waffe und feuert zwei Schüsse ab. Einer durchschlägt Koes’ verwundete Schulter und versprüht einen roten Nebel aus Blut und Fleischbrocken über die Treppe. Der zweite Schuss geht über ihn hinweg und bohrt sich dicht neben Sannes Kopf ins Geländer.
    Koes schaut zur Decke und spuckt etwas Rotes, Feuchtes aus. Dann begegnet er Sannes Blick und hebt den gesunden Arm. In der Hand hält er Gustafssons Dienstpistole. Über ihnen kracht es jetzt schlimmer als je zuvor. Der Polizist hinter Koes versucht, eine freie Schusslinie zu finden, wagt aber nicht zu schießen, aus Angst, seine Kollegen zu treffen.
    Koes grinst, doch Sanne sieht nur den Tränenfilm, der seine Augen überzieht.
    Er setzt sich den Pistolenlauf unters Kinn und drückt ab.

Dienstag, 24. Juni

56
    Das Dach stürzte mit einem ohrenbetäubenden Krachen zusammen, Funken und Dampf schlugen zum Nachthimmel auf. Das Blaulicht der Einsatzfahrzeuge gab der ganzen Szenerie einen zerhackten und unwirklichen Schein. Feuerwehrleute und Polizei arbeiteten Hand in Hand. Die Grasfläche war voller Schläuche, die Wasser auf das brennende Haus pumpten. Gustafsson und Christian hatte man bereits abtransportiert. Koes’ Leiche lag im Garten auf einer Bahre, der sich niemand recht nähern mochte. Man hielt sich abseits. Eine Decke bedeckte den zerschossenen Kopf.
    »Was is’ passiert?« Lars sprach undeutlich. Halb saß, halb lag er in dem offenen Krankenwagen und wies mit dem Kopf auf das in Flammen stehende Haus. Sanne saß neben ihm an der offenen Seitentür.
    »Sieht aus wie eine Gasexplosion. Aber es ging alles so schnell. Vorläufig scheint es, als hätte Koes eine Art Bombe gebastelt.«
    Lars versuchte sich aufzusetzen, musste aber aufgeben. Zu stark waren die Schmerzen in der Seite.
    Sanne half ihm auf und drückte ihm ein Kissen in den Rücken.
    »Das hier haben wir aus dem Keller mitgebracht.« Sie legte einen Stapel Polaroidfotos auf die Decke. Lars blätterte sie mit einer Mischung aus Verblüffung und Ekel durch.
    Foto um Foto bekannte Situationen. Heiligabend: John Koes im Weihnachtsmannkostüm, mit einem glücklichen Lächeln vor einem Baum, unter dem sich Geschenke türmen. Um ihn herum drei Mädchen als Wichtel verkleidet, mit dem traditionellen Milchreis, Rotwein und Päckchen. Kaffeekränzchen: Das gute Geschirr mit dem Muschelmuster ist gedeckt. Koes in Hemd und Strickjacke, andere Frauen festlich gekleidet und stark geschminkt – die toten Glasaugen schauen starr in die Luft. Koes im Schlafanzug im Bett, offensichtlich tief schlafend mit je einer Frauenleiche zu beiden Seiten.
    Lars’ Herz raste. Hinter den Augen schmerzte es. Er gab ihr die Fotos zurück. Er wollte nichts mehr sehen.
    »Warum?«
    »Wir
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