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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind
Autoren: Jakob Melander
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bebten. Ein kleiner Funke hinter den schwarzen Fenstern wuchs sich zu einer Explosion aus, schoss durchs Dach und loderte meterhoch in den dunklen Himmel. Die Zuschauer schrien auf. Das Krachen des von innen aufgerissenen Dachs wurde als Echo über den See zurückgeworfen. Funken und Ziegelsteine regneten durch die Nacht. Die Haut kribbelte in der plötzlichen Hitze, zog sich zusammen.
    »Verflucht!«, brüllte Ulrik und griff zum Walkie-Talkie. »Seht zu, dass ihr da rauskommt. Sofort!«
    »Lars ist doch noch drin, oder?« Sanne starrte wie hypnotisiert auf die Flammen, die sich in einem furchterregenden Tempo durchs Dach fraßen.
    Ulrik brüllte nach hinten.
    »Wo bleibt die Feuerwehr? Verdammt noch mal, hat jemand die Feuerwehr gerufen?«
    Niemand antwortete. Alle schauten regungslos auf die Flammen. Dann plötzlich eine Bewegung. Ein uniformierter Beamter führte einen der Zuschauer zu ihnen.
    »Der Mann hier behauptet, etwas zu wissen.« Er musste schreien, um das Gebrüll der Flammen zu übertönen. Der Zuschauer, ein Mann in den Vierzigern, nickte.
    »Mein Vater hat oft von dem Augenarzt erzählt, der hier gewohnt hat. Er war während des Krieges der Leiter der örtlichen Widerstandsgruppe. Unter dem Haus hat er einen zusätzlichen Keller gegraben. Die Alten im Viertel haben immer behauptet, er hätte ihn als Waffenlager genutzt.«
    »Sie sagen, es gibt unter dem Keller noch einen … Keller?« Ulrik hatte sich umgedreht, er hielt die Hände in Brusthöhe, bereit, den Mann am Kragen zu packen.
    Der Mann nickte.
    »Die Deutschen haben ihn nie gefunden.«
    Jetzt konnten sie die Sirenen hören. Ihr ansteigendes und abfallendes Jammern mischte sich in das allgemeine Chaos.
    Sanne löste sich vom Auto, ging wie in Trance auf das Haus zu.
    »Halt!«, rief Ulrik. »Wo willst du hin?«
    »Wir müssen Lars helfen.« Sie flüsterte, sah sich nicht um.
    Gustafsson, der gerade aus der Haustür kam, packte sie.
    »Da drin ist es lebensgefährlich. Das Haus kann jeden Moment einstürzen.«
    »Die Feuerwehr ist da.« Allan rückte beiseite. Die Polizisten sprangen in die Einsatzfahrzeuge in der Einfahrt und fuhren zur Seite, um die Löschzüge vorbeizulassen.
    »Hier rüber!«, rief eine Frauenstimme, kaum hörbar im Lärm des Feuers. Sanne lief auf die andere Seite des Hauses. In der Nähe der Gartentür zerrte Lisa an dem dichten Bewuchs der Hauswand. Versteckt unter wild wucherndem Gebüsch lag ein alter, mit einer Luke abgedeckter Kellerausgang, den ein massives Hängeschloss sicherte.
    Gustafsson verschwand und kehrte kurz darauf mit einem Bolzenschneider zurück. Sekunden später war das Schloss aufgebrochen, und Lisa und Sanne öffneten gemeinsam den Kellerausgang. Gustafsson leuchtete mit seiner Taschenlampe in die Dunkelheit. Welke Blätter, dreckige Lumpen. Abfall auf der Treppe. Gustafsson sah zum Dach hinauf. Der Schein des Feuers breitete sich am Himmel aus. Es knackte im Haus, ein Glutregen stürzte vom Dach und landete zischend im taufeuchten Gras. Dann zog er die Schultern hoch und ging hinunter. Lisa, Sanne und der Rest der Einsatzkräfte folgten. Hinter sich hörten sie Allan rufen, dass die Rauchwolken in ihre Richtung unterwegs seien.
    Schmale Rauchschwaden sickerten durch die Ritzen der Decke über ihnen, zogen Spuren durch die Lichtkegel der Taschenlampen. Es rumorte und knarrte in dem alten Haus.
    Sie wagten nicht, das elektrische Licht einzuschalten. Ihre Lampen suchten die weiß gekalkten Flächen in dem niedrigen Keller ab, entdeckten faulige Flecken und Schimmel. Haufen von alten Klamotten und Gerümpel, Pappkisten, Bücher, Schuhe und undefinierbare Gegenstände.
    »Wo kann man sich hier verstecken?«, fragte Lisa.
    »Unter all dem Krempel muss es irgendwo einen Weg nach unten geben.« Sanne kniff die Augen zusammen. Der Rauch brannte im Rachen und in den Augen.
    Die fünf anderen begannen, die Haufen in einem planlosen Wirrwarr auseinanderzureißen. Kratzten mit Stiefeln und Lampen über den Boden, um irgendwo eine Falltür zu finden. Sanne stellte sich an die Treppe, die zum Haus hinaufführte; sie stand auf dem letzten Blutfleck der langen Spur, die vom Behandlungszimmer in den Keller führte. Sie schaute nach unten. Hier lag so gut wie nichts auf dem Boden. Aber es gab keinen Spalt, keine Ritze. Weder eine Klappe noch einen Gang in einen weiteren Keller. Aber sie mussten hier danach suchen.
    Der Rauchgeruch wurde heftiger. Über ihr schwoll der Lärm an. Es war eine Frage von Minuten, bis sie
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