Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder
Autoren: Ravensburger
Vom Netzwerk:
immergrünen Büschen, damit die zum Säubern der Wege zwangsverpflichteten Arbeitslosen die Päckchen nicht versehentlich morgens aus dem Rindenmulch harken.
    Dennoch ergeht es Darius, während sie an dem Park entlanglaufen, wie so oft: Sobald er sich seinem Viertel nähert, Umrisse der vertrauten Häuser erkennt, Einzelheiten wahrnimmt, die jedem anderen vielleicht entgehen, atmet er auf.
    Zwei arabische Jugendliche biegen von der Hauptstraße her in eine gesperrte, schlafstille Wohnstraße ein.
    Dreißig, vielleicht vierzig Meter von ihnen entfernt tritt eine ältere Frau aus der Haustür eines unauffälligen Gründerzeitbaus, einer Mietskaserne, wie sie zu Tausenden in der Stadt zu finden sind.
    Die Frau trägt einen Morgenmantel und Badelatschen. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre Haare werden von einem Haarnetz gehalten. Nah bei ihren Füßen schnüffelt ein Hund die Hauswand entlang, der so klein ist, dass ihn Darius erst beim zweiten Hinsehen im schwachen Licht einer Gaslaterne bemerkt.
    Der winzige Hund läuft langsam zum Rinnstein und danach zu einem mageren, beinahe kahlen Baum. Die Frau zieht müde an ihrer Zigarette, die sie sich eben angezündet hat.
    Darius und Hakan bleiben stehen. Weil alle anderen zu erschöpft oder noch zu befangen vom gerade Erlebten sind, bleiben auch sie stehen wie auf Kommando.
    Darius weiß, was die Freunde empfinden: Sie wollen die wenigen Hundert Meter bis zu ihrem Viertel hinter sich bringen, um endlich nach Hause zu kommen.
    Hakan ist diese Empfindung fremd. Auch das weiß Darius und es beruhigt ihn.
    Für Hakan gilt eine Regel, von der er nie abweicht: Solange du dich auf der Straße bewegst, solltest du aufmerksam bleiben.
    Inzwischen hat sich der Hund einen Platz gesucht. Er hockt sich neben den Baum, um seinen Haufen neben dem anderen, hitzegetrockneten Hundekot zu hinterlassen, um sein »Geschäft zu erledigen«.
    Seltsamer Ausdruck, denkt Darius. Er merkt, dass ihn die Erschöpfung überwach werden lässt.
    Inzwischen sind die beiden Jugendlichen auf der gegenüberliegenden Straßenseite in Höhe des fast kahlen Baumes angekommen. Obwohl der größere den kleineren abhalten will, überquert der die Straße und fragt die Frau im Bademantel nach einer Zigarette. Weder der größere noch der kleinere Junge haben die Freunde im Schatten der letzten Bäume des Parks entdeckt.
    Als Hakan sich einen Schritt auf Frau und Jungen zu bewegen will, hält ihn Darius zurück.
    Der winzige Hund presst sich das Gedärm aus dem Leib. Darius nimmt den Geruch des stetig wachsenden Haufens trotz der Entfernung wahr.
    Er erkennt an der Art, wie der Jüngere sich der Frau nähert, dass er auf eine Konfrontation aus ist. Die Frau, die offenbar spürt, dass der Junge sie provozieren will, reagiert nicht auf die Frage nach der Zigarette. Sie ignoriert den Jungen und betrachtet den Hund.
    Der Größere ruft, er zischt und schnalzt in Richtung seines Freundes oder Bruders, als wolle er ihn abhalten, einen Streit zu beginnen, und als ahne er bereits, dass sein Bemühen erfolglos bleiben wird.
    Der Kleiner e – dreizehn vielleicht, schätzt Dariu s – weiß nicht, wie er sich verhalten soll. Er hat sich zu weit vorgewagt, zu viel steht gegenüber dem Größeren, dem vielleicht bewunderten Bruder auf dem Spiel. Die Frau hat seine Frage nicht einmal einer Antwort wert befunden und jetzt droht der Jüngere gegenüber dem Älteren das Gesicht zu verlieren.
    Darius kennt die Gedanken, als lese er im Kopf des Jungen. Sind immer so, hat Hakan gesagt, die Türken wie die Araber, besonders die dreizehn-, fünfzehn-, siebzehnjährige n – Stolz, immer nur Stolz und verletzte Ehre.
    Die Frau sieht den Jungen nicht an, sie lässt ihn stehen und geht zu ihrem Hund. Noch zittern dessen Flanken von der enormen Anstrengung. Behutsam streicht die Frau dem Tier über den winzigen Schädel.
    »Wir sollten etwas tun«, sagt Hakan.
    »Wieso?«, fragt Tomtom.
    Jan-Niklas sagt: »Ich weiß nicht. Warten wir lieber noch. Der Größere, der scheint doch ganz okay?«
    Die Frau bückt sich und ihr Haarnetz verrutscht. Als sie sich zu dem Haufen ihres Hundes hinunterbeugt, um den Kot mit einem Plastikbeutel aufzugreifen, den sie aus dem Ärmel ihres Bademantels zieht, weicht der Junge unwillkürlich einen Schritt zurück. Die Frau lässt den Haufen, der warm ist und riesig, in den Plastikbeutel gleiten.
    »Was tust du?«, fragt der Junge. Seine Stimme klingt aggressiv und zugleich vor Erstaunen und Ekel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher