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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder
Autoren: Ravensburger
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spröde wie Glas.
    Wieder ignoriert ihn die Frau. Mithilfe eines Holzes, das sie aus dem Rinnstein klaubt, bugsiert sie den Kot des Hundes, der zum Haus gelaufen ist und in der offenen Tür hockt, tiefer in den Beutel.
    Der ältere Junge kommt zögernd über die kopfsteingepflasterte Fahrbahn auf den Jüngeren und die Frau im Bademantel zu.
    »Hunde sind unreine Tiere«, sagt er eher beiläufig, ohne besonderen Nachdruck. Und der Jüngere murmelt, noch immer färbt Verblüffung und Abscheu seine Stimme: »Du bist eine Sau, alte Frau!«
    Jetzt richtet die Frau sich auf. Ihr Haarnetz hält kaum noch die letzten Strähnen. Das Holz wirft sie zurück in den Rinnstein und streckt die Hinterlassenschaft ihres winzigen Hundes, der hinter ihr in der Haustür winselt, ein wenig von sich weg in die klare Nachtluft. So, dass die Jungen unwillkürlich vor dem Anblick und dem Geruch zurückweichen. Dabei kehren sie Darius und Hakan, der gesamten Gruppe am Rand des Parks den Rücken.
    »Passt mal auf, ihr Bengel, ihr solltet längst im Bett sein.«
    Die Frau, die ihre Zigarette mit einem Badelatschen nachlässig ausgetreten hat und sich sofort eine neue ansteckt, wendet sich ab, um den Haufen in einem Mülleimer zu versenken, der am Mast des nächsten Verkehrsschildes angebracht ist. »Macht hurtig!«, fügt sie hinzu, spricht die wenigen Worte wie weggeworfen über ihre Schulter und lässt den Plastikbeutel in den Müllkorb fallen.
    »Du scheiß deutsche Schlampe«, sagt der kleinere Junge und tritt nach dem Hund, den er jedoch verfehlt. Im nächsten Augenblick wendet er sich der Frau zu, die ihm immer noch keine rechte Beachtung schenkt. Ansatzlos schlägt er ihr die Zigarette aus dem Mundwinkel. »Was willst du«, zischt der Junge, »du deutsche Scheiße?« Schon hebt er wieder die Hand, ballt die Faust, als Hakan ruhig sagt: »Lass das.«
    Ohne Eile nähert er sich dem Jungen, der sich verblüfft zu ihm umdreht, aber keine Anstalten macht, die Frau in Ruhe zu lassen. Im Gegenteil, er versetzt ihr noch einen Stoß an die Schulter, wenn auch ohne größere Kraft.
    »Geh deine Mutter ficken, Hurensohn.«
    Trotz des geringen Lichts sieht Darius, der unwillkürlich zusammenzuckt, dass sich die Wirkung der Worte wie beabsichtigt einstellt. Als sei im Kopf ein Knopf gedrückt, ein Schalter umgelegt worden, lässt der Jüngere schlagartig von der Frau und ihrem Hund ab und auch der Ältere wirkt, als habe ihm jemand ins Gesicht gespuckt.
    Der Hass verzerrt die Mienen der Jungen und einen Moment scheinen sie zu überlegen, ihrem beleidigten Stolz zu gehorchen und Hakan, der den eigenen Worten nachlauscht, anzugreifen, obwohl sie unterlegen sind. Unschlüssig mustern sie Tomtom und Simon, Alina, Cora und Marvin, die aus dem Schatten der Bäume treten. Dann weichen sie leise fluchend zurück und verschwinden in der nächsten Durchfahrt zu einem nächtlich stillen Hof.
    Die Frau, die versonnen dem gefüllten Plastikbeutel im Müllkasten nachschaut, zieht die Brauen hoch, rafft ihren Bademantel vor der Brust zusammen und sagt: »Danke.« Grinsend reicht sie Hakan statt der Hand den Ellenbogen und nuschelt noch mal: »Vielen Dank.«
    Während der kreisende Scheinwerfer vom Flughafen über die schlafstille Straße streicht und sich der nicht mal mehr winselnde Hund ins Dunkel des Hausflures zurückzieht, fügt sie hinzu: »War nett von euch. Aber ehrlich, die bellen nur. Beißen tun die nicht.«
    »Na ja«, entgegnet Hakan. Seiner Stimme ist der Zweifel anzuhören.
    Als die Freunde den Platz erreichen, an dem sie sich nach der Schule oft trennen, schlägt die Uhr der großen katholischen Kirche viermal zur vollen Stunde. Nach einer kurzen Pause folgen drei weitere, seltsam helle Schläge. Weil die Gruppe inzwischen zu erschöpft ist, verpasst sie den richtigen Zeitpunkt für die Verabschiedung. Alle treten unbehaglich auf der Stelle, ohne etwas zu sagen. Als sei die Trennung, einmal vollzogen, endgültig.
    Sie haben Angst, denkt Darius. Nicht vor mir, aber vor der Gewalt. Und außerdem scheinen sie zu glauben, ich sei kaum besser als die bescheuerten Skinheads.
    Wieder fühlt er, wie sich Wut und Zorn langsam in ihm aufstauen.
    Doch weil Hakan merkt, wie Darius zumute ist, und die Beklommenheit der Freunde spürt, sagt er rasch: »Das war ja jetzt wirklich für eine Nacht ’n bisschen viel, oder?«
    Er wartet. Alle schweigen.
    Darius ist ihm dankbar. Zugleich verspürt er erneut einen aufwallenden Ärger, sagt aber nichts.
    Hakan zögert.
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