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Blutrote Schwestern

Blutrote Schwestern

Titel: Blutrote Schwestern
Autoren: Jackson Pearce
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Scarlett sah völlig hypnotisiert zu, und als das Auf- und Abwandern plötzlich aufhörte, sog sie die Luft krampfhaft ein. Der Schatten presste sich gegen die Tür, so schwer, dass es schien, als würde das Holz unter dem Gewicht zerbersten.
    Rosie schrie laut auf, und Scarlett schlug den Spiegel so fest gegen den Nachttisch, dass er zerbrach. Zitternd löste sie die größte Scherbe aus dem Rahmen des Spiegels.
    Der Aluminiumknauf der Tür drehte sich so langsam, dass Scarlett für einen Moment dachte, es sei vielleicht doch nur Oma March, die kurz bei ihnen hereinschauen wollte – ganz so, wie sie es oft tat, ehe sie schlafen ging. Scarlett schloss die Augen.
Nur Oma March. Ich bin nicht hier, Rosie ist nicht hier, wir liegen im Bett.
Aber als die Tür sich einen Spalt breit öffnete, zwang sie sich hinzusehen und knirschte mit den Zähnen, als sie merkte, dass Rosies Pausbäckchen noch immer vor Angst zitterten. Die Tür öffnete sich etwas weiter, dann noch etwas weiter; und der Lichtstrahl tastete nach ihnen in der Dunkelheit. Das vereinte Herz zwischen den Schwestern tat einen Sprung, als die Tür schließlich weit aufschwang und sie dem Licht aussetzte, hilflos, ohne eine Chance, sich vor der Silhouette, die im Türrahmen stand, zu verstecken.
    Er
war es, der Vertreter, aber er war es auch … nicht. Noch immer schimmerte sein blondes Haar, aber es war nun fleckig über seinen ganzen Körper verteilt, einem Aussatz gleich. Seine Augen waren riesig und hohl, der Mund verzerrt und gestreckt. Er entblößte lange Reihen spitzer Zähne, als wäre sein Gesicht auseinandergezogen worden. Sein Rücken krümmte sich, als wäre er gebrochen, die Schultern zu einem Buckel aufgeworfen, die Füße nach innen gedreht. Diese Füße … die schrecklichen Klauen waren lang wie Angelhaken und hinterließen tiefe Spuren in den Dielen, während er langsam näher an die Mädchen herankroch.
    Als er sich bückte, um sich unter dem Türrahmen hindurchzuzwängen, verschwanden selbst die letzten Merkmale, die ihn noch zumindest entfernt wie den Vertreter im blauen Anzug hatten aussehen lassen. Die ihn zumindest entfernt
menschlich
hatten wirken lassen. Seine Nase wurde lang und irgendwie hündisch, die Lippen öffneten sich noch weiter. Er taumelte vorwärts, setzte seine beiden Hände – nein,
Pranken
 – auf den Boden, dickes, fettiges Haar quoll hervor, bedeckte den gesamten Körper. Und dieser
Geruch.
Ein verrottender, leichenartiger Geruch ging von dem Wesen – dem
Wolf
 – aus und ließ die Schwestern erschauern. Hungrig stierte er sie an, bösartige Bewunderung in den Augen.
    Scarlett schluckte schwer und umklammerte die Spiegelscherbe so fest, dass ihr das scharfe Glas tief ins Fleisch schnitt. Mit aller Kraft drängte sie die aufsteigenden Tränen zurück, den Fluchtimpuls und die Stimme Bob Barkers, der irgendetwas von zerschlagenem Essgeschirr schrie – als ob alles in Ordnung wäre. Als ob sie nicht direkt hinter dem Monster den zusammengebrochenen Leib ihrer Großmutter auf dem Boden sehen könnte.
    Sie starrte in die harten rotbraunen Augen des Monsters, das den räudigen Kopf schieflegte. Noch ehe Scarlett wusste, was sie tat, schob sie Rosie unter das Bett, sprang auf die Füße und schwang die Spiegelscherbe wie ein Messer. Einen Schritt ging sie vorwärts, dann noch einen, bis sie so dicht vor dem Monster stand, dass der faulige Geruch, der von ihm ausging, ihr den Atem nahm. Der Wolf öffnete sein breites, langes Maul, woraufhin sich ihr Reihen von Zähnen und eine blutbefleckte Zunge entgegenstreckten. Ein Gedanke setzte sich in Scarletts Geist fest, und sie wiederholte ihn immer und immer wieder, bis er zu einem Mantra, einem Gebet wurde:
Ich bin die Einzige, die noch kämpfen kann. Also muss ich dich jetzt töten.

[home]
Kapitel 1
    Scarlett March
    E r folgt mir.
    Wurde auch Zeit. Fünfmal habe ich an dem alten Bahndepot vorbeigehen müssen, ehe er meinen Geruch mit dem Wind aufgenommen hat. Ich heuchele Ahnungslosigkeit, ignoriere das Geräusch seiner plumpen Schritte in der Dunkelheit hinter mir und ziehe den blutroten Mantel fester um die Schultern. Täusche ein Zittern vor, als mir ein Windstoß durch die glänzenden Haare fährt.
So ist es richtig … komm weiter, komm nur. Denk daran, wie brennend es dich nach meinem Fleisch verlangt. Denk daran, wie gut mein Herz dir schmecken wird.
    An einer Straßenecke halte ich inne um sicherzugehen, dass mein Verfolger noch hinter mir ist, aber auch,
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