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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen
Autoren: Noreen Ayres
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würde sich mal wieder melden. Ich sagte, ich wüßte, wo das nächste Unfallkrankenhaus sei. Auf dem Weg zur Notstation sagte sie mir ständig, wie nett es sei, daß ich das für sie täte und dann krümmte sie sich vor Lachen. Ich dachte, wir haben hier eine ausgemachte Verrückte, bis sie mir erzählte, daß der Typ ihr den ganzen Nachmittag gefolgt sei, bis sie am Ende mit ihm in einer kleinen Bucht Marihuana geraucht hatte. Sie hatte nicht gewußt, wie sie ihm bei- bringen sollte, daß sie nicht mit ihm nach Hause gehen würde, und das machte sie nervös, und sie fand es auch irgendwie komisch, und er dachte, sie hätte sich amüsiert.
    Auf unserer Fahrt zum Krankenhaus fragte sie mich, ob ich Semesterferien hätte. Sie nahm also an, daß ich studieren würde. Neiiin, sagte ich. Aber ich sagte nichts über meinen Beruf. Ich bedankte mich nur für das Kompliment. Ich erwähnte beiläufig, daß ich für die Stadt arbeite. Erst Monate später sagte ich ihr, was ich genau mache.
    Bei Chi-Chi’s liefen in sechs Fernsehern, die von der Decke hingen, Rockvideos, wie immer. Wenn du auf die Toilette gehst, hörst du Radio. Kellner singen diese fürchterlichen Lieder, wenn du Geburtstag hast, und ich vermute, daß viele Leute vorgeben, Geburtstag zu haben, auch wenn es nicht stimmt, nur wegen des kostenlosen Nachtischs. Man kann keine Mahlzeit in Ruhe zu sich nehmen, ohne nicht mindestens zweimal von diesem Gesang gestört zu werden. Aber es ist einfach so, daß Stimmen und Gelächter von den Wänden zurückschallen und man hat nur zwei Möglichkeiten: entweder man feiert mit oder man verkriecht sich in eine Ecke.
    Ich ging hinein, und das Essen roch wunderbar. Alles wird gebraten, Cilantro und Zitrone. Frische, grüne Zutaten. Patricia war bestimmt noch nicht da. Ich wartete auf die Kellnerin. Jemand hatte vergessen, die Tagesspezialität auf die verschmierte Mitte einer Tafel zu schreiben. Oben stand bloß »Welche Speise ergeben diese Stückchen wohl«. Die Kellnerin trug ein blau-weiß geblümtes Kleid, was an einer Seite ganz hochgezogen war. Ich bat um einen Tisch mit Blick aufs Wasser, auch wenn es Abend war. Am Tag sieht man ein Fitzelchen Pazifik mit dem Schatten von Catalina Island im Hintergrund. Ich wollte nur die Gewißheit haben, daß beide da waren. Durch unechte Feigenblätter beobachtete ich die Männer an der Bar. Rote Gesichter, die Köpfe hoch gereckt, während sie darauf warteten, daß kurz ein Footballspiel eingeblendet würde. Zwei große Männer. Ich dachte an Jerry Dwyer. Er hätte sich das Spiel angeschaut, die Rams, die gerade gegen die Forty-Niners verloren, aber trotzdem war er den Rams treu geblieben.
    »Hi«, sagte Patricia. Sie setzte sich mir gegenüber. Zu einem dunkellila Rock trug sie einen pinkfarbenen Seidenblazer, der faszinierend zu ihrem roten Haar aussah. Große Glasohrringe in Lila und Pink baumelten bis zu ihrem Kinn herab. Ihr Gesicht ist rund und sieht weich aus, so als ob es nicht zu ihrem langen und doch sehnigen Körper gehört. Es ist ein sinnliches Gesicht, wenn man so etwas über ein Gesicht sagen kann, und es trägt zwei Grübchen stolz zur Schau: eins, wo man es vermutet, am Mund; das andere an einer komischen Stelle, worüber ich mich immer wieder wundere — die Muskeln ziehen sich bei ihr direkt unter dem rechten Auge zu einem kleinen Loch zusammen, mitten auf ihrer Wange. Durch diese Grübchen sieht sie doppelt so lustig aus. Wenn sie lacht, lacht man einfach mit.
    »Rate mal«, sagte sie.
    »Was?«
    »Ich habe mein Maklerexamen bestanden.«
    »Glückwunsch. Dann kannst du ja heute bezahlen.«
    »Mache ich.«
    »Nein, das wirst du nicht.«
    »Ich kann jetzt meinen verdammten Job kündigen«, sagte sie, als sie sich zu mir beugte. Sie arbeitet bei einer kleinen Elektronik-Importfirma in Laguna Hills als Mädchen für alles. Sie tätigt kleinere Verkäufe und kümmert sich genauso um die Inventur, aber eigentlich ist sie Sekretärin. Ich erinnere mich, wie sie anfing, Blazer zu ihren Röcken zu tragen, damit man sie ernst nahm. »Erst wenn ich mein erstes Millionenheim verkaufe natürlich. Bis dahin muß ich diese Last tragen.«
    »Nächste Woche«, sagte ich.
    »Nächste Woche«, stimmte sie mir zu. »Wir sind gerade in einer Rezession, nicht? Trotzdem werden sie nie aufhören, Häuser zu bauen, nie. Ich bin erst letzte Woche von San Diego hierher gefahren und konnte meinen Augen nicht trauen.« Ihre Locken flogen. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie
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