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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen
Autoren: Noreen Ayres
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erwähnt.
    Während ich dastand und noch zögerte zum Kühlschrank zu gehen, stützte ein bleicher junger Mann mit Pickeln, einer strengen Hornbrille und weißlichem Haar seinen Ellbogen links neben Joe auf einen Kasten mit Dosen, um seine Notizen besser lesen zu können. Er mußte ein Anfänger sein.
    »Hallo!«, sagte Joe.
    »Ja?«
    »Dein Hemd auf dem Kasten.«
    Der Anfänger starrte Joe an und sein Hals färbte sich rosa.
    »Staub,« sagte Joe. »Hat dein Hemd den Staub durcheinander gebracht?«
    Der Anfänger sah sich um. »Ich ... ich glaube nicht. Ich sehe nichts.«
    Joe sprach langsam, klar und nicht herrisch. »Nimm deine Taschenlampe,« sagte er. »Halte den Lichtstrahl über den Kasten. Sorg’ dafür, daß es keine Veränderungen gibt, keine Finger- oder Handabdrücke.« Joe sah mich an. Eigentlich haben wir mit Neulingen alle Mitleid; wir sind es ja selbst einmal gewesen.
    »Ja, sofort«, sagte der Anfänger und kämpfte mit der Taschenlampe, die an seinem Gürtel befestigt war.
    Joe nahm mich am Ellbogen und drehte mich zur Tür. Er sagte: »Glaubst du, es ist zu spät, Makler zu werden?«
    »Nimm mich mit, wenn du gehst.«
    Joe redete mit mir, als wir zurück zum Kühlschrank gingen. Er erzählte, wie sein Sohn David sein erstes Jahr auf der Universität verbracht hatte. Mittendrin hielt er an und wandte sich zurück zur Tür. »Du brauchst das nicht zu tun, Smokey.«
    »Ich weiß das.«
    »Wir haben genug Leute hier.«
    »Wenn ich nicht dabei sein wollte, dann hätte ich nicht darum gebeten, Joe.«
    Er strich mit seinem Finger unter dem Augenlid entlang: Er tat das immer, wenn er einen Moment nachdenken mußte. Und dann gingen wir das letzte Stück gemeinsam, mit seiner Hand als leichte Stütze unter meinem Ellbogen. Er gab mir einen Mentholstift, so einen, den man bei einer Erkältung benutzt und den einige Idioten verkochen und sich für ein billiges, aber kompliziertes Mentholhigh injizieren. Leichen stinken nicht so schnell, aber ein anderer starker Geruch lenkt dich wieder ab. Die Berührung am Ellbogen, die ruhige Stimme und jetzt dieser Beweis für seine Sorge um mich: Dies sind nur einige der Gründe, warum er, was auch immer er tut, so eine Auswirkung auf mich, eine erwachsene Frau, hat.
    Ich sah ein grausames rotes Chaos. Ich konnte Jerrys Gesicht noch sehen, seine Hüfte lag auf der Seite, der Kopf war von der Tür weggedreht und ich wollte es auch nicht sehen; ich ging zurück. »Eigentlich hätte er hier sicher sein müssen.«
    Billy Katchaturian tauchte hinter mir auf. Auch trotz des Menthols sickerte der scharfe Geruch von Mottenkugeln durch. Billy war von der Ostküste. Leute von der Ostküste riechen immer nach Mottenkugeln. Ich sah hinüber. Er studierte die Polaroidaufnahmen, etwa einen Meter von mir entfernt. Joe sah das und sagte, »Brauchst Du noch mehr, Billy?«
    »Nein, machen Sie weiter. Diese sind gut.« Er hielt die Aufnahmen hoch wie ein Kartenkünstler.
    Ich ging näher an den Kühlschrank heran. Ein Stück Einwickelpapier war dorthin gelegt worden, wo Billy K. eine kleine Trittleiter hingestellt hatte, um Fotos von oben zu machen; ich sah die schwarzen Abdrücke der Leiter auf dem Papier. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht auf das Papier treten.
    Den Knochen, der aus dem Fleischgemisch über dem Knie hervortrat, das einmal Jerrys Bein gewesen war, sah ich sofort.
    »Mein Gott«, sagte ich. »Die haben aber mächtige Waffen benutzt.«
    Joe sagte: »An der Wunde sieht man noch Teile von Schrot.« Er zeigte mit einem Stift darauf.
    »Es sieht fast so aus wie eine Glaser«, sagte ich.
    »Gauner haben so etwas nicht«, sagte Joe.
    »Du und ich können sie nicht bekommen, das ist alles.« Als ich mich näher beugte, ließ mich das, was ich von Jerrys Kopf sah, ahnen, daß die Unterseite noch schlimmer aussah. Ich hatte Glaser-Sicherheitskugeln schon am Schießstand demonstriert bekommen, aber ich hatte nie selber mit einer geschossen. Sie sind verdammt kraftvoll und haben dünne Kupferseiten, die beim Aufprall sofort platzen.
    Die Luft im Kühlschrank war nicht kalt, da die Tür so lange offengestanden hatte. Ich konnte das Motorgeräusch hören. Die Wände waren feucht. Es war nicht viel Platz da und es gab viele offene Lebensmittelkartons, in denen das Essen lagerte, das Jerry und sein Vater für die Kunden in die Mikrowelle stellten. Auf weißen Kartons stand »Hamburg«. In einer Ecke waren die Zutaten für Softeis. Jerry Dwyers Vater verlor hier mehr als einen Sohn.
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