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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen
Autoren: Noreen Ayres
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dem Haus. Hinter dem Zaun erhaschten Eukalyptusbäume die letzten Sonnenstrahlen und glühten dort rot, wo sich die Rinde in langgezogenen Dreiecken gelöst hatte, ein Beweis für den australischen Eukalyptusparasiten, der sich seit 1984 über durstige Bäume von San Diego bis Santa Barbara hermacht.
    Hinten im Laden in der Nähe der Tür stand Joe S. Er sah mich kommen und winkte mich heran. Er hatte seinen guten Anzug an. Wahrscheinlich mußte er heute Abend irgendwo einen Vortrag halten. Kastanienbraune Krawatte und ein kräftig braunes Jackett, dazu ein blaßrosa Hemd und seine Schuhe glänzten, als ob er nie den Tatort eines Mordfalls beträte.
    Als ich auf halbem Weg zu ihm war, sagte Joe, »Hast du die Eintrittsbefugnis unterschrieben?«
    »Willst du mich ärgern?« Ich lächelte ein wenig.
    Er lächelte genauso zurück und sagte, »Ich frag’ja nur.«
    »Ich hatte keine Leukotomie, sondern nur einen Bauchschnitt, Dickerchen.«
    Joe drehte sich um, um jemandem zu antworten und ging dann hinein. Als ich in der Tür mit ihm zusammentraf, hätte ich schnell vorbeihuschen sollen, anstatt meine Kleider elektrisch aufzuladen; wir mußten klare Verhältnisse schaffen. Ich hatte gehofft, daß die Geschichte mit meinem restlichen Bewußtsein geruht hätte, als ich im Krankenhaus war, aber nein. Ein Blick in diese blauen Augen und schon war ich wieder hin. »Wie geht’s, Joe?« fragte ich.
    Auf einmal wurde er richtig schüchtern und ganz geschäftlich. Ich ging vor ihm her in den hinteren Raum. Als das Licht darauffiel, sah sein Haar grauer aus als ich es in Erinnerung hatte. Joe ist fit für seine achtundvierzig Jahre, stolz auf seinen nicht vorhandenen Bauch und deshalb necke ich ihn so oft ich kann mit der kleinen Ausbuchtung gerade über der Stelle, wo er vermutlich Maß nimmt. Dabei ist es viel schöner zum umarmen. Wenn er nur wüßte. Er sah über meinen Kopf hinweg und sagte, »Angriffspunkt war von vorne.«
    Dann: »Du kanntest ihn.« Es war keine Frage.
    »Ich nehme hier immer meine Doughnuts auf dem Weg zur Arbeit mit, das ist alles. Einmal ging ich mit ihm und seinen Freunden zu einer Party, aber die waren mir alle zu jung. Aber, ja, er war prima, Joe. Ein netter Junge. Das ist eine verdammt üble Geschichte.«
    Er sah mich an und hörte mir zu, und es tat ihm leid, das von mir zu hören. Nicht alle Opfer sind nett.
    Er sagte: »Warst du heute morgen hier?«
    »Nein.«
    »Wie geht es dir?«
    »Meinst du, ob ich wieder arbeiten sollte?«
    »Solltest du?«
    »Na, herzlichen Dank.« Wir waren hineingegangen. Er stand jetzt zu nah bei mir. So nah, daß ich sein After-shave riechen konnte, aber er sah mich nicht an.
    Er sagte: » Ich würde nicht fragen, wenn du ihn nicht gekannt hättest. Manchmal macht das etwas aus. Das weißt du.«
    »Macht es nicht«, sagte ich. Thema erledigt. »Jerry Dwyer war ein freundlicher, offener, gesprächiger Junge. Er kannte die Namen seiner Kunden, und wußte immer, wer welche Sorte Doughnuts mochte.«Joe schüttelte den Kopf.
    Ich ließ meinen Blick zurück zum hinteren Teil des Raumes schweifen, und blickte auf die Rückseite der weißen Emailletür. Nur am Rand der Tür war Blut. Links davon, neben dem Kühlschrank, lag der Körper. Ich stand da und schaute nach vorn. Joe stand ruhig hinter mir. Die Frage, auf die niemand eine Antwort hat, muß auf meinem Rücken gestanden haben, denn Joe legte die Hand für einen Moment auf meine Schulter, und ging dann weg: — Warum mußte ausgerechnet dieser Junge sterben?
    Trübe Neonlichter warfen über alles einen grauen Nebel. Lattenkisten mit Lebensmitteln und Behälter mit Motoröl türmten sich überall auf. Die Ecke zu meiner Linken war vollgestopft mit einem alten Spielautomaten und vier Kisten Katzenfutter darauf. Hohe Fenster in der Wand ließen das blasse Novemberlicht herein — Joe S. würde das Gelände bald absichern müssen, die Gegend von einem Polizisten bewachen lassen und morgen wiederkommen. Neonlicht ist gut, aber nicht so gut wie T ageslicht. In einem Mordfall führt man immer einen Krieg mit sich selbst. Wenn man Gerechtigkeit ernst nimmt, muß man sich die Zeit nehmen, die eine genaue Untersuchung erfordert. Aber je mehr Zeit man sich nimmt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Tatort gefährdet wird — befugte Leute gehen ein und aus und unbefugte betreten den Tatort. Nicht zu unterschätzen bei einer Verzögerung sind das Budget und der Personalbedarf. Wir alle wissen das, aber es wird selten
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