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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen
Autoren: Noreen Ayres
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Einen Teil von sich selbst.
    Joe sagte, »Wir wissen, daß sie eine automatische 22er hatten. Da vorne liegen sechs Hülsen auf dem Boden. Eine Kugel war in dem Losbehälter, eine in dem Pfosten bei der Kasse, drei in der Wand. Eine Kugel muß ihn getroffen haben, und dann ist er weggelaufen.«
    Er stand ruhig da, legte die Hände an die Hüften und sprach dann mit dem Boden. Das machte er, wenn ihn etwas berührt. Ich wußte, daß 22er komische Dinge an- richten können, wie, jemanden sofort töten, wenn die Kugel richtig plaziert ist, oder ein Loch in jemanden bohren wie ein Locher. Die Haut schwillt an wie nach einer allergischen Reaktion und das ist dann alles. Ich kenne einen Fall, wo das Opfer oberhalb des Herzens einen Durchschuß bekam. Er lief bis nach Hause und legte sich für 15 Minuten aufs Sofa, bevor ein Arzt kam. Heute verkauft er Lebensversicherungen in der Nähe meiner Bank. Man kann von einer 22er in den Hinterkopf getroffen werden, die Kopfdecke wird aufbrechen, die Kugel wird sich in der Kopfhaut wie ein Wurm vergraben, der das Sonnenlicht sucht, aber man wird es überleben.
    Er sagte, »Die im Kopf ist meiner Meinung nach eine 5,7- Millimeter.«
    Mir schnürte sich der Hals zu. Ich ging zu der Hintertür und fühlte plötzlich Joe an meiner Seite. Der Anfänger starrte uns an, als wir vorbeigingen, als ob er Joe eine Frage stellen wollte.
    Joe sagte: »Der Junge hielt die Tür zu und versuchte, sie abzuwehren. Sieht aus, als ob er ein großer Kerl gewesen ist. War er das?«
    »Ja.«
    »Er hätte es vielleicht sogar geschafft, aber er rutschte dauernd auf seinem eigenen Blut aus. Du kannst das an den Schmierspuren sehen. Ich glaube, sie haben ihn mit dem ersten Schuß am Kopf oder im Gesicht getroffen, bei der Menge Blut. Siehst du die Spritzer an der Tür?«
    Hatte ich. Es war Blut an der Kühlschranktür und an der Vordertür. Dort sogar noch mehr, eine Menge am unteren Teil der Tür.
    »Das Blut fließt auf den Boden, während er versucht, sie draußen zu halten«, sagte Joe. »Er rutscht aus und gleitet weg und kann sich nicht halten. Siehst du die Rutschspur?«
    Ich nickte.
    Joe erzählte weiter. »Das Opfer drückt immer weiter gegen die Tür. Sie klemmen den Pistolenlauf in die Tür — man sieht davon Spuren im Rahmen und an der Tür; Billy hat das fotografiert — sie schieben das Gewehr rein und schießen ihm ins Bein. Er fällt um, bums! Und alles ist vorbei.«
    Joe kam näher und lehnte seine Schulter leicht an meine. Ich rührte mich nicht.
    Er sprach weiter. »Wir wissen, daß es zwei waren.«
    Ich brachte es fertig zu sagen: »Man müßte den Rückstoß sehen, von dem Kopfschuß.«
    »Jemand läuft hier mit dreckigen Klamotten rum. Oder Schuhen. Wir haben eindeutige Abdrücke.«
    »Irgendwelche Blutspuren?« fragte ich. Das könnten Blutspuren sein, die sich zum Beispiel von Kleidern auf einen anderen Gegenstand übertragen. Oft findet man identische Fasern oder andere Beweisstücke.
    »Wir haben fünf rote Fasern am äußeren Türrahmen gefunden. Ich weiß aber nicht, ob sie etwas zu sagen haben. Sie könnten alt sein. Wir haben Abdrücke von Stiefelabsätzen und Schuhsohlen gefunden. Ebenso einen halben Handabdruck auf dem Register. Ich glaube, da sind noch Schießpulverreste dran. Wir haben etwa die Hälfte der Verborgenen gefunden.« >Verborgene< sind Fingerabdrücke, die für das Auge nicht sichtbar sind.
    Er schaute sich um und sagte: »An einem Ort wie diesem wird es schwer. Und es gibt natürlich keine Videos.« Videokameras wie in den großen Lebensmittelketten hätten etwas aufzeichnen können. Dwyer’s Kwik Stop war ein Familienbetrieb. Allerdings war die Familie nicht mehr vollständig. Jerrys Mutter lebte nach der Scheidung im Mittleren Westen. Ich erinnere mich daran, daß Jerry einmal sagte, seine Mutter sei eine gute Geschäftsfrau.
    »Bitte sag’ noch, daß es einen Zeugen gibt«, sagte ich.
    »Schön wär’s«, sagte er.
    »Wann, sagtest du, ist es passiert?« Warum gab es in einem Laden so nahe am Freeway keinen Zeugen? Wir waren jetzt draußen und die Kälte des späten Novembers machte sich bemerkbar. Ich schlang meine Arme um meine Taille.
    Joe begann seine Momenttheorie vorzutragen. Ich hatte sie schon millionenmal auf millionenfache Weise gehört. Ein kurzer Moment tötet Menschen. Menschen verlieben sich in einem kurzen Moment ineinander. In den Falschen. In einem kurzen Moment ergibt manchmal zwei und zwei vier, und der Fall ist gelöst. Ein kurzer
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