Blutleer
Kollegen erzählten, er habe vorgegeben, ein BWL-Studium zu haben, das er aus familiären Gründen kurz vor der Prüfung abbrechen musste. Dieses ominöse Studium tauchte dann regelmäßig in seinen Lebensläufen auf, und es war klar, dass er es erfunden hatte.
Macht und Ansehen – darum war es Maldien noch bis vor etwa zehn Jahren gegangen. An irgendeinem Punkt musste er gemerkt haben, dass er mit den Lügen nicht mehr weiterkam und er sich inzwischen auch selbst belog. Damals gab es den ersten Vorfall mit Geldunregelmäßigkeiten. Ein relativ kleiner, recht dumm aufgezogener Betrug. Der Personalchef der Firma sagte aus, dass Maldien sich bei einer Beförderung übergangen gefühlt hatte und sich auf diese Art wohl wenigstens die dazugehörige Gehaltserhöhung verschaffen wollte. Aber man konnte deutlich sehen, dass es ihm nicht um das Geld gegangen war. Da es sich um eine relativ kleine Summe gehandelt hatte, die er auch sofort wieder ersetzte, sah man von einer Anzeige ab und begnügte sich mit einer fristlosen Kündigung. Selbst ein neutrales Zeugnis stellte man ihm aus.
Barbara notierte sich einige Fragen, die sie Hannah Maldien stellen wollte. Mit ihrer Hilfe konnte sie vielleicht herausbekommen, wann das Thema Macht bei ihrem Mann die Oberhand gewonnen hatte und wann es möglicherweise von Macht im Beruf zu jener Art von Macht gegenüber Frauen geworden war, die zu den Überfällen führte. Gerade als sie überlegte, ob sie sie anrufen sollte, kam Jakubian herein.
»Das Beschatterteam meldet, dass Hannah Maldien das Haus verlassen hat. Sie folgen ihr zu Fuß. Das zweite Team hält sich im Auto bereit.«
»Sie wird ihn nicht treffen«, meinte Barbara. »Nicht am helllichten Tag.«
Jakubian nickte. »Trotzdem müssen wir dranbleiben. Kommst du weiter?«
»Es passt alles ganz gut. Allerdings gibt es da nichts, was uns helfen könnte, ihn zu fassen. Nur das Profil wird klarer.«
Patrick Linssen steckte den Kopf herein. »Ihr solltet in die Einsatzzentrale kommen.«
Das Beschatterteam stand gleichzeitig mit dem Polizeipräsidium in Düsseldorf, wo Kramer den Einsatz leitete und im Fall des Falles das SEK in Marsch setzten konnte, und Duisburg, wo der Rest der Soko saß, in Verbindung.
»Sie hat uns abgehängt. Ist in eine Straßenbahn gestiegen. Das Autoteam versucht zu übernehmen.«
»Verdammt«, fluchte Jakubian. Es dauerte noch etwa eine Viertelstunde, da musste das zweite Team zugeben, dass Hannah Maldien es wirklich abgehängt hatte. Kramer in Düsseldorf war nicht weniger wütend als Jakubian. Kein Zweifel: Die Beschatter hatten sich höchst stümperhaft überrumpeln lassen. Hannah Maldien war – vermutlich am Staufenplatz, wo eine Menge Bahnlinien zusammenliefen –, unbemerkt in eine andere Bahn umgestiegen. Das Team hatte die ursprüngliche Bahn weiterverfolgt und musste sich dann eingestehen, dass man sie verloren hatte.
Kramer schickte beide Teams zurück zur Wohnung der Maldiens und beorderte noch ein drittes Team dorthin. »Noch mal geht sie uns nicht durch die Lappen«, sagte er Jakubian am Telefon. Als er auflegte, sah dieser Barbara nur an. Beide dachten dasselbe. Würde Hannah Maldien überhaupt noch einmal nach Hause zurückkehren?
Jakubian sprach mit den Beamten, die die Konten und die Banken überwachten. »Es muss sichergestellt sein, dass wir sofort erfahren, wenn Geld abgehoben wird. Macht das den Bankern noch mal ganz klar.«
Aber Hannah Maldien blieb verschwunden. Barbara zwang sich wieder zur Konzentration auf ihre Arbeit. Immer neue Puzzleteile zu Maldiens Persönlichkeit flatterten auf ihren Tisch. Nach den ersten Überfällen hatte man in seiner damaligen Firma eine Verhaltensänderung bemerkt. Er schien selbstbewusster, nicht mehr nur arrogant. Er war weniger angewiesen auf Bestätigung von außen. Nach dem Mord an Nicole Giesen bekam er seine Beförderung, verließ aber die Firma, weil er etwas Besseres gefunden hatte: den Job in Dortmund. Kurz zuvor verlor er seinen Führerschein wegen hoher Geschwindigkeitsüberschreitung, hatte aber bisher nicht versucht, ihn wiederzubekommen.
Es war inzwischen schon nach fünf. Noch immer gab es keine Spur von Hannah Maldien, und Geld war auch nicht abgehoben worden. Jakubian und Barbara machten eine späte Kaffeepause. Barbara war erschöpft, weil sie ununterbrochen gelesen hatte. Auch Jakubian wirkte sichtlich angegriffen, weil er ständig verfügbar sein musste für alle möglichen Entscheidungen und Fragen.
»Ich hoffe nur,
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