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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen
Autoren: Joe Abercrombie
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dem Geruckel hin und her geworfen. Sie warf einen hastigen Blick über die Schulter, als sie ein kleines Stück auf der ausgefahrenen Straße zurückgelegt hatten. Der Nordmann stand noch da, eingehüllt in die Staubwolke ihres Wagens, und sah ihnen finster nach.
    »Was wollte der denn?«
    »Nichts.«
    Sie ließ ihr Messer wieder in seine Scheide gleiten, stemmte einen Stiefel gegen die Stützstrebe und lehnte sich zurück, den Hut so tief ins Gesicht gezogen, dass die untergehende Sonne ihr nicht in die Augen schien. »Auf der Welt wimmelt es nur so vor komischen Leuten, das stimmt wohl. Wenn man sich jedes Mal darüber Gedanken machen wollte, was die so denken, dann würde man aus den Sorgen nicht mehr rauskommen.«
    Lamm machte sich kleiner denn je zuvor, als wäre er am liebsten in seinem eigenen Brustkorb verschwunden.
    Sie schnaubte. »Du bist echt so ein beschissener Feigling.«
    Er sah sie von der Seite an, dann guckte er weg. »Es gibt Schlimmeres, was ein Mann sein kann.«
    Sie lachten, als sie über die Anhöhe ratterten und das flache kleine Tal sich vor ihnen öffnete. Über irgendwas, das Lamm gesagt hatte. Seine Stimmung hatte sich wie immer gebessert, nachdem sie die Stadt verlassen hatten. In großen Menschenmengen fühlte er sich nie besonders wohl.
    Aber auch Scheu versetzte es in bessere Laune, diesen Weg entlangzurumpeln, der aus kaum mehr als zwei schwach erkennbaren Spuren im langen Gras bestand. Als sie jünger gewesen war, hatte sie schwarze Zeiten durchlebt, kohlrabenschwarze Zeiten, in denen sie stets gefürchtet hatte, dass man sie unter freiem Himmel töten und ihren Leichnam verfaulen lassen, oder dass man sie erwischen, aufhängen und unbegraben liegen lassen würde, damit sich die Hunde über sie hermachten. Oft genug hatte sie sich in diesen Nächten voller Angstschweiß geschworen, für jedes Mal in ihrem Leben dankbar zu sein, wenn ihr das Schicksal es gestattete, diesen unscheinbaren Weg noch einmal zu beschreiten. Mit der ewigen Dankbarkeit hatte es nicht so richtig geklappt, aber so ist das eben mit Versprechen. Sie fühlte sich trotzdem immer ein bisschen leichter, wenn der Karren diesen Weg nahm.
    Dann sahen sie den Hof, und das Lachen blieb ihnen in der Kehle stecken, und sie saßen stumm da, während der Wind durch das Gras um sie herum pfiff. Sie konnte nicht atmen, nicht sprechen, nicht denken, Eiswasser strömte durch ihre Adern. Dann war sie vom Karren herunter und rannte.
    »Scheu!«, brüllte Lamm ihr nach, aber sie hörte es kaum. Ihr Kopf war erfüllt von ihrem rasselnden Atem, und vor ihren Augen zuckte der Himmel um sie herum, als sie den Abhang hinunterrannte. Quer über das Stoppelfeld, das sie keine Woche zuvor abgeerntet hatten. Über den niedergetrampelten Zaun und die Hühnerfedern, die dort in den Dreck getreten worden waren.
    Sie stolperte in den Hof – oder vielmehr dorthin, wo früher der Hof gewesen war – und blieb hilflos stehen. Das Haus bestand nur noch aus toten, verkohlten Balken und Trümmern; das Einzige, was noch stand, war der wacklige Schornstein. Kein Rauch. Der Regen hatte das Feuer wohl schon vor ein oder zwei Tagen gelöscht. Aber alles war verbrannt. Sie rannte ums Haus zur geschwärzten Ruine der Scheune, und ein leises Wimmern begleitete nun jeden Atemzug.
    Gully war an dem großen Baum hinter dem Haus aufgehängt worden. Sie hatten ihn über dem Grab ihrer Mutter aufgeknüpft und den Grabstein umgestoßen. Er war mit Pfeilen gespickt. Es waren vielleicht ein Dutzend, vielleicht auch mehr.
    Scheu fühlte sich, als hätte sie einen Tritt in die Eingeweide bekommen, und sie knickte zusammen, die Arme um den Körper geschlungen. Sie stöhnte, und der Baum stöhnte mit ihr, als der Wind durch das Blätterdach fuhr und Gullys Leichnam leise schaukeln ließ. Der arme, harmlose Alte. Er hatte ihr noch hinterhergerufen, als sie mit dem Karren davongerattert waren. Dass sie sich keine Sorgen machen müsste, weil er nämlich auf die Kinder aufpassen würde. Sie hatte lachend zurückgerufen, sie sei wirklich beruhigt, aber eher, weil die Kinder auf ihn aufpassen würden. Plötzlich konnte sie nichts mehr sehen, weil ihre Augen so wehtaten und der Wind in ihnen brannte, und sie zog die Arme noch fester um sich, als sei ihr plötzlich so kalt geworden, dass nichts sie würde wärmen können.
    Sie hörte Lamms Stiefel hastig näher kommen, langsamer werden und schließlich innehalten, als er sie erreicht hatte.
    »Wo sind die Kinder?«
    Sie
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