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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen
Autoren: Joe Abercrombie
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durchsuchten das ganze Haus und die Scheune auch. Langsam und stetig und zuerst noch wie betäubt. Lamm zog die verkohlten Balken beiseite, während Scheu in der Asche wühlte und überzeugt war, jeden Augenblick auf die Knochen von Pit und Ro zu stoßen. Aber sie waren nicht im Haus. Und auch nicht in der Scheune. Oder im Hof. Sie suchte immer wilder, um die Angst im Zaum zu halten, dann immer hektischer, um die Hoffnung klein zu halten, durchkämmte das Gras, zerrte an den Trümmern, aber das Einzige, was Scheu von ihren Geschwistern entdecken konnte, waren ein verbranntes Spielzeugpferd, das Lamm vor Jahren einmal für Pit geschnitzt hatte, und die versengten Seiten von einem von Ros Büchern, dessen Überreste sie sich vom Wind aus den Fingern wehen ließ.
    Die Kinder waren verschwunden.
    Sie stand da, starrte in den Wind, den abgeschürften Handrücken gegen den Mund gepresst, während sich ihre Brust in harten Stößen hob und senkte. Sie konnte nur einen Gedanken fassen.
    »Sie wurden verschleppt«, krächzte sie.
    Lamm nickte nur. Sein graues Haar und sein grauer Bart waren voller Ruß.
    »Warum?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie wischte sich die geschwärzten Hände vorn an ihrem Hemd ab und ballte sie zu Fäusten. »Wir müssen ihnen nach.«
    »Joh.«
    Sie ging in die Knie und suchte den zerwühlten Rasen rund um den Baum ab. Wischte sich die Nase und die Augen. Folgte dann vornübergebeugt den Spuren bis zum nächsten umgepflügten Stück. Dort entdeckte sie eine leere Flasche, die in den weichen Boden getreten worden war, ergriff sie und warf sie wieder weg. Sie hatten sich keine Mühe gemacht, ihre Spuren zu verwischen. Überall rund um die Ruinen der Gebäude waren Hufspuren. »Ich würde sagen, es waren um die zwanzig. Vielleicht aber mit vierzig Pferden. Die überzähligen Tiere hatten sie dort drüben gelassen.«
    »Vielleicht, um die Kinder zu tragen?«
    »Wohin denn?«
    Lamm schüttelte nur den Kopf.
    Sie machte weiter, bestrebt, irgendetwas zu sagen, das die Leere füllen würde. Etwas zu tun, damit sie nicht nachdenken musste. »So, wie ich es sehe, kamen sie von Westen und hielten sich, als sie wieder gingen, nach Süden. Sie hatten es ziemlich eilig.«
    »Ich hole uns zwei Schaufeln. Wir werden Gully begraben.«
    Sie machten schnell. Scheu kletterte auf den Baum, auf dem sie jede Stelle zum Festhalten und Fußfassen genau kannte. Schon vor langer Zeit, noch bevor Lamm zu ihnen kam, war sie hier hinaufgestiegen, und ihre Mutter hatte ihr zugeguckt und Gully hatte geklatscht. Jetzt war ihre Mutter unter diesem Baum begraben, und Gully hatte man an seinen Ästen aufgehängt, und irgendwie wusste sie, dass sie daran schuld war. Eine Vergangenheit wie die ihre konnte man nicht einfach begraben und sich lachend abwenden.
    Sie schnitt ihn herunter, brach die Pfeile weg und glättete sein blutiges Haar, während Lamm neben dem Grab ihrer Mutter eine Grube für Gully aushob. Behutsam schloss sie ihm die hervorquellenden Augen und legte ihm die Hand auf die Wange. Sie war kalt. Er sah plötzlich so klein aus und so dünn, und sie hätte ihm gern einen Mantel umgelegt, aber sie hatte keinen zur Hand. Lamm hob ihn mit einer ungelenken Umarmung in das Loch, sie schütteten es gemeinsam wieder zu, richteten den Grabstein ihrer Mutter wieder auf und traten das aufgeworfene Gras fest, während der kalte Wind kleine schwarze und graue Aschekrümel um sie herumtanzen ließ, als er über das Land ins Nichts fegte.
    »Sollten wir etwas sagen?«, fragte Scheu.
    »Ich habe nichts zu sagen.« Lamm schwang sich auf den Bock des Karrens. Vielleicht blieb ihnen noch eine Stunde Tageslicht.
    »Das Ding nehmen wir nicht«, sagte Scheu. »Ich kann schneller laufen als die blöden Ochsen.«
    »Aber nicht länger, schon gar nicht mit Gepäck. Es hat keinen Zweck, überstürzt zu handeln. Sie haben wie viel, zwei, drei Tage Vorsprung? Und sie werden schnell reiten. Zwanzig Männer, hast du gesagt? Wir müssen realistisch sein, Scheu.«
    »Realistisch?«, flüsterte sie ungläubig.
    »Wenn wir sie zu Fuß verfolgen und wir nicht verhungern oder in einem Sturm weggespült werden, und wenn wir sie dann erwischen, was passiert dann? Wir sind noch nicht einmal bewaffnet. Wir haben nichts außer deinem Messer. Nein. Wir werden ihnen so schnell folgen, wie Scale und Calder laufen können.« Er nickte zu den Ochsen hinüber, die gerade die Gelegenheit nutzten, um ein wenig zu grasen. »Und dann schauen wir, ob wir ein paar von der
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