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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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hörte ihr ruhig zu und sagte schlicht: »Ich werde zwei Brüder zur Wirtschaft schicken und den Leichnam Eures Oheims herbringen und für die Bestattung vorbereiten lassen. Macht Euch keine Gedanken, Frau von Langenau, er wird seinen Frieden auf unserem kleinen Gottesacker finden.«
    Marie seufzte erleichtert. »Ich kann Euch gar nicht sagen, wie dankbar ich Euch bin. Ich hätte nicht gehen können, ohne den letzten Wunsch meines Oheims erfüllt zu wissen.«
    »Ihr werdet München verlassen?«
    »Nun ja … Ich denke doch. Nach meiner Heirat.« Sie räusperte sich und suchte in ihrem Beutel nach Münzen. »Sechs Gulden. Mehr habe ich nicht bei mir, aber mein zukünftiger Gatte wird Euer Kloster mit einer großzügigen Spende bedenken.«
    »Macht Euch deswegen keine Gedanken. Oh, da fällt mir etwas ein.« Der Abt, dem man sein fortgeschrittenes Alter nicht anmerkte, bewegte sich flink auf die Truhe zu, die neben dem großen Bücherschrank stand. »Wo Ihr hier seid, sollt Ihr es erhalten. Ich hätte es sonst nach Kraiberg geschickt, aber nun scheint Ihr mir die Einzige, für die es noch von Interesse sein könnte.« Er wühlte in der Truhe zwischen Büchern, Beuteln und Dokumenten und förderte einen vergilbten Brief zu Tage. »Ich habe diesen Brief kürzlich beim Aufräumen entdeckt. Er gehörte zu Ambrosius’ Nachlass und muss aus dem Büchlein gefallen sein. Bitte.«
    Erstaunt nahm sie den mehrfach gefalteten Bogen, der nicht versiegelt war, und faltete ihn auseinander. Das Papier war alt und brüchig. »Es ist auf Italienisch! Habt Ihr es gelesen?« Mühsam versuchte sie, die rasch hingeworfenen Zeilen in der steilen Handschrift, die ihr aus Melchiors Buch vertraut war, zu entziffern.
    »Überflogen. Es schien mir ein persönlicher Brief von einem Vater an seinen Sohn oder einen Freund zu sein. Ein Kaufmann aus Florenz, wenn ich es richtig verstanden habe. Geschrieben wurde er in den achtziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts, aber die Zahlen sind verwischt. Könnt Ihr etwas damit anfangen?«
    Ungläubig versuchte sie, den Sinn der altertümlichen, fremden Sprache zu erfassen, und als sie begriff, was dort stand, wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, und schluchzte und hustete abwechselnd, bis sie sich wieder beruhigt hatte. »Ich danke Euch, Vater Abt. Ich wünschte nur, Remigius hätte das hier lesen können.« Doch dann hielt sie inne. Nein, vielleicht war es genau so richtig, und Melchior Janus hatte gewusst, was er tat, indem er die Aufzeichnungen des Ser Mazzei vor aller Welt versteckt hatte. Menschen brauchten Träume, an die sie glauben konnten. Was sonst gab ihnen Hoffnung in dieser grausamen Welt?
    Der Abt stand auf. »Nehmt es mit. In unserer kleinen, friedlichen Welt hier im Kloster ist kein Platz für Geheimnisse, die den Seelenfrieden unserer Brüder stören könnten. Es ist auch so schwer genug, meine Herde zu hüten und zu beschützen.«
    »Ihr macht Eure Sache gut, Vater Abt, und ich beneide Euch um den Frieden, den Ihr hier habt.«
    Er lächelte und segnete sie. »Wenn es doch immer so ruhig wäre …«
    Marie steckte den Brief in ihren Gürtelbeutel und verließ mit Els das Kapuzinerkloster, das von Abt Jacobus mit so viel Weitsicht geleitet wurde. Der Brief von Ser Mazzei änderte nichts an ihrer Entscheidung. Im Grunde war er eine Erleichterung, dachte Marie und machte sich auf den Weg zu ihrem Bruder Georg, der noch nicht an den Hof zurückgekehrt, jedoch fast gänzlich genesen war. Sie würde ihm erklären, wie die Dinge standen, und dann musste er die Risiken für sich selbst abwägen und entscheiden. Marie sah ein kleines Kind, das lachend hinter einem Hund herlief. Ein Moment unbeschwerten Glücks, dachte sie, kostbare Augenblicke, die jedem Menschen beschert sein sollten, und sie lächelte. Zum ersten Mal seit langer Zeit breitete sich ein Lächeln von ihrem Mund über das ganze Gesicht aus, erreichte ihre Augen und ließ sie strahlen.
    Tulechow hatte darauf gedrängt, die Hochzeit möglichst rasch zu vollziehen. Remigius hatte seine letzte Ruhe bei den Kapuzinern gefunden, und Marie hatte entschieden, den Mönchen seine wissenschaftlichen Bücher zu hinterlassen. Nur Marbods »Lapidarium« und Marsilius Ficinus’ »Epidemarium antidotus« behielt sie. Sie hatte sich sorgfältig auf diesen Tag vorbereitet, denn er bedeutete eine entscheidende Wende in ihrem Leben. Allerdings würde nicht allen die Richtung gefallen, die sie einzuschlagen gedachte. Vor allem Albrecht
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