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Blut und Kupfer

Blut und Kupfer

Titel: Blut und Kupfer
Autoren: C Wilken
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Marie ließ die frische Brise durch ihre langen, zu einem losen Zopf geflochtenen Haare wehen. Sie liebte das Meer mit seinen vielen Gesichtern, die sanfte See im Sommer genauso wie die aufgepeitschten Wogen im Herbst. Dann spritzte die Gischt bis hinauf zu ihrem kleinen Refugium auf den Felsen. Sie drehte sich um und ging die in den Fels geschlagenen Stufen hinauf zu dem einstöckigen Haus, das sie seit einem Jahr mit Ruben bewohnte.
    Die Flucht aus München und die anschließende Reise nach Siebenbürgen, wo Ruben in der Nähe von Dej eine Schwester seiner Mutter ausfindig gemacht hatte, hatten Kraft und Mühen gekostet. Doch das war es wert gewesen, dachte Marie. Im Beisein seiner Tante hatten sie sich von einem Dorfpriester trauen lassen, und Ruben hatte entschieden, seinen Taufnamen, Bran, nicht zu tragen. Für Marie wäre er ohnehin immer Ruben geblieben. Sie strich über ihren leicht gewölbten Leib. Wenn es ein Junge wurde, sollte der Bran heißen. Els, die ihnen mit Bertuccio zur Flucht verholfen hatte und mit Pferden und ihren Habseligkeiten vor der Stadt auf sie gewartet hatte, war bei dem Komödianten geblieben. Irgendwann würden sie sich wiedersehen, schon allein deshalb, weil Bertuccio neue Ware brauchte.
    Kopfschüttelnd nahm sie die letzten Stufen und betrat die Terrasse, auf der Tomasina in Töpfen Kräuter zog. Die Tochter einer Fischerfamilie war eine begnadete Köchin, die gewiss bald einen Mann finden würde. Marie seufzte und hoffte im Stillen, dass die junge Frau noch eine Weile bei ihnen blieb. Schnuppernd ging sie in die Küche. »Hmm! Ich liebe dich, Tomasina!«
    Die rundliche junge Frau lachte. Sie trug ein leuchtend gelbes Kleid, das ihrer fröhlichen Natur entsprach. »Das hat der Herr auch gerade gesagt! Er ist oben und hat eine Überraschung für Euch.« Sie kicherte. »Eigentlich dürft Ihr es nicht wissen.«
    Marie versuchte, einen Blick in die Pfanne zu erhaschen, doch Tomasina schob sie zur Seite. »Noch nicht. Da fehlen noch die Kräuter.« Mit einem langen Holzlöffel deutete sie auf die verschiedenen Töpfe und Schüsseln. »Es gibt Ravioli mit Parmesanfüllung, gebackene Brasse, weiße Bohnen und Feigen.«
    »Darf ich dich küssen?«
    »Ah, geht schon, geht!« Lachend scheuchte Tomasina ihre Herrin aus ihrem Reich.
    Marie hörte Ruben in seiner Werkstatt arbeiten und näherte sich leise. In der offenen Tür blieb sie stehen und ließ den Blick durch die kleine, lichtdurchflutete Werkstatt gleiten. Ruben hatte seine Werkbank am Fenster aufgestellt, durch das er über die Terrasse auf die Felsen und das geliebte Meer blickte. Zu seinen Füßen schlief ein großer weißer Hund, der den Kopf hob, als sie eintrat. Marie legte den Finger an die Lippen, und Lino, so hieß der weiße Hütehund, gähnte und schaute von ihr zu Ruben.
    Rings in den Regalen lagen Werkstücke in allen Fertigungsstadien. Kleine Schatullen mit Pietra-Dura-Einlagen, Schmuckanhänger und verschiedene runde Tischplatten, die aufgrund ihrer Größe mehr Zeit beanspruchten. Es war faszinierend zu sehen, wie der Künstler mit Hilfe einer Säge, die aus einem riesigen gebogenen Kastanienzweig und Draht aus weichem Eisen bestand, die winzigen Formen aus den Edelsteintafeln schnitt. Derzeit arbeitete Ruben an einem Commesso für den Herzog der Toskana, Cosimo II. Die Castruccis in Prag hatten Ruben an den Medici-Herzog empfohlen, und der hatte ihnen das Land mit dem Häuschen neben dem Castello von Castiglioncello zur Verfügung gestellt. Aus Angst, von Bekannten aus München in Florenz erkannt zu werden, hatten Ruben und Marie sich in die Einsamkeit der livornesischen Küste zurückgezogen.
    In Böhmen war der Krieg ausgebrochen. Nicht unerwartet, doch die Kämpfe waren von einem religiösen Hass und Eifer geprägt, der das Schlimmste befürchten ließ. Im Jahr nach ihrer Flucht hatten sich die protestantischen böhmischen Stände gegen den verhassten König Ferdinand erhoben, der den Majestätsbrief, welcher den Protestanten in Böhmen Religionsfreiheit gewährt hatte, widerrufen hatte. Nachdem die protestantischen Adligen zwei kaiserliche Räte aus dem Fenster der Prager Burg gestürzt hatten, brach der lange schwelende Konflikt offen aus. Was zu erwarten gewesen war, geschah, die protestantischen Adligen in Böhmen erklärten Ferdinand für abgesetzt und wählten den Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zu ihrem König. Vor zwei Tagen erst hatten sie einen Brief von Georg erhalten. Ihr Bruder hatte sich dem
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