Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
Vom Netzwerk:
unabhängige Künstler und den Rock ’n’ Roll? Man kann gleich noch die Hoffnung auf einen reformierten Kapitalismus sowie den Glauben an die Werte der Mittelklasse, die Bewegung der Konsum- und Globalisierungsgegner dazunehmen. Ich glaube immer noch an diese Dinge, ich bin nur einfach überrascht darüber, als wie schwach sie sich erwiesen haben. Die Bewegung, die 1999 in Seattle auf sich aufmerksam machte, wurde nach 2001 zerstört bzw. verschwand wieder von der Bildfläche. Die Anschläge vom 11. September haben dazu einiges beigetragen, weil sie es Bush junior erlaubten, zu Hause mit der Tyrannei und im Ausland mit dem Imperialismus zu experimentieren. Die Transformation, die im Zuge der »Web 2.0«-Phase des Internets alle Medien erfasste, hat diese Entwicklung allerdings wesentlich stärker beschleunigt,indem sie einen von größeren oder kleineren Transaktionen gekennzeichneten Lebensstil herbeiführte. Wir betreiben heute in praktisch all unseren Interaktionen eine Art Selbstmarketing, ohne zwischen privater und geschäftlicher Zuneigung zu unterscheiden. Wir tauschen imaginäre Einheiten von Zeit und Aufmerksamkeit gegen irgendwelche Formen von freien Inhalten und eine allzu aufdringliche Präsenz ein, wodurch wir die Prinzipien der Werbung und der Markenbildung gleichsam normalisieren und zu etwas Natürlichem machen. Man sollte das Internet weder verdammen noch als Allheilmittel feiern, aber wir neigen inzwischen dazu, diesen prinzipiell berechtigten Amoralismus bezüglich des Netzes auch auf Phänomene zu übertragen, die das Internet lediglich als neuen Kanal nutzen (dämliche Reklame, zynisches Marketing usw.), weil ihre klassischen Distributionskanäle vorübergehend nicht so richtig funktionieren.
    Allerdings kommt mir in diesem Zusammenhang auch eine von Aktivisten verfasste Analyse mit dem Titel »Where was the color in Seattle?« in den Sinn, die nach den Protesten gegen die Welthandelsorganisation im Jahr 1999 zirkulierte. Sie erinnert mich immer wieder daran, dass sowohl dem Postpunk, zu dessen Mekka die Heimatstadt von Nirvana geworden war, als auch der Bewegung, deren Zentrum die Stadt Ende des 20. Jahrhunderts darstellte, eine schwarze Dimension fehlte.
    Die Wahl Obamas als dem Fackelträger der Hoffnungen Amerikas im Jahr 2008 war die einzige wunderbare Erscheinung in über einem Jahrzehnt. Sie zeigte, dass das Amerika, an das ich und andere Menschen glaubten und glauben – und zwar auf beiden Seiten der rassischen Demarkationslinie – möglich war und immer noch möglich ist. Der Enthusiasmus für die amerikanische Demokratie fand dabei immer seine Entsprechung im Enthusiasmus für die amerikanische Sprache. Zu ihren besonders attraktiven Kennzeichen zählen ihre Freizügigkeit, Offenheit, ihre vielfältigen Ursprünge, die Schwierigkeit, sie »richtig« zu gebrauchen, die Tatsache, dass sie immer dann besonders großartig klingt, wenn sie abweichend verwendet wird; ihre witzige Obszönität; ihre Redundanz und ihr Überfluss, die sich permanent erneuern.
    Unsere Sprache kostet nichts. Sie gehört uns allen. Man kann sie nicht privatisieren. Die Fähigkeit, geschickt mit Worten umzugehen, ist zu einem Kennzeichen der Armen geworden, der Minderheiten, der ganz normalen Leute, der Schriftsteller und Intellektuellen; all jener also, die sich keine Bilder leisten können, die gemeinsam in einer älteren Welt leben, in der es keine Bilder gibt, oder die ganz bewusst darauf verzichten, sie zu benutzen.
    Das Gedächtnis des Hip-Hop ist intakt. Die »Gat«, die ein Gangster aus dem Hosenbund zieht, erweckt die Ära des Bürgerkriegs und des Gatling-Maschinengewehrs zum Leben. Das »Skrilla« (Bargeld), das Rapper aus dem Süden heute akkumulieren, erinnert an die »Scrips« (Bezugscheine, A. d. Ü.), mit denen die Schwarzen unter dem alten Agrarregime der Post-Reconstruction-Periode entlohnt wurden. Im offiziellen Amerika hingegen erleben wir (seit John F. Kennedy) Präsidenten, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Fernsehleute, die sich dieses reiche Amerikanisch abtrainiert haben. Was aus ihrem Mund kommt, klingt, als hätten sie einen Dachschaden. Alles, was auf Fox, CNN oder den 24-Stunden-Nachrichtensendern verlautbart wird, verherrlicht die Bilder zu Lasten der Sprache. Die Bilder sind wichtiger als die eigentlichen Nachrichten, die in der Demokratie über das berichten sollten, was auch immer gerade in der Gemeinschaft der Bürger geschieht.
    Unterhalb dieser offiziellen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher