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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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verleihen, dass ein im Getto geborener Rapper in diesen Jahren mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit im Alter von fünfzehn oder sechzehn selbst einer jener Wachtposten oder Läufer war, die an den Straßenecken herumstanden. Andere dachten sich diese Geschichten einfach aus. Das ist eine der merkwürdigen Eigenschaften von Drogen, die damit zusammenhängt, dass sie verboten sind, aber auch damit, dass sie die Tendenz haben, noch in den letzten Winkel des Privatlebens vorzudringen, so dass sich die jungen Leute – über alle Schichten hinweg – wie Outlaws fühlen. »Ich war dabei«, das ist die Botschaft der Texte über das Dealen. Die Polizei stellt eine tödliche Gefahr da, die Konkurrenten auch, aber es lohnt sich, und die Gewinne, die das Geschäft verspricht, werden universell als verlockend empfunden.
    Letztendlich war es diese Verbindung, die dem Hip-Hop zu seiner opernhaften, titanischen Größe verhalf; er konnte virtuos mit Emotionen und Ausdrucksmitteln spielen, über die zuvor keine Richtung der populären Musik je verfügt hatte. Durch das Crack-Geschäft wurde er zu einem großen Breitwand-Epos, und die Rapper integrierten die großen amerikanischen Mythen vergangener Epochen des Gangster-Kapitalismus in ihre Texte, Mythen, denen Coppola, De Palma und Scorsese in ihren Filmen ein Denkmal gesetzt hatten.
    Dieser Zusammenhang entging vielen weißen Gelegenheitshörern wie mir, die jene endlose Rhetorik des Geschäftes, der Organisation, der »Firma« (»The Firm«, derName, den Nas seinem Rap-Kollektiv gab), der »Kommission« (»The Commission«, wie Notorious B.I.G. eines der Projekte nannte, die er neben seiner offiziellen Crew »Junior M.A.F.I.A. « betrieb) nicht zu deuten verstanden, da wir mit Crack eben ausschließlich Abhängigkeit und Elend assoziierten. Auch den offensichtlichen Ehrgeiz, mit dem erfolgreiche Rapper sich einen Platz in den sich immer mehr in Konzerne verwandelnden weißen Platten-Labels sichern wollten, über die in den Neunzigern das Hip-Hop-Geschäft lief, habe ich damals nicht verstanden (das beste Beispiel ist Jay-Z, der für kurze Zeit der Chef von Def Jam Records war; Def Jam war zunächst ein außergewöhnlich großes, von Schwarzen betriebenes Indie-Label, doch in der Zeit von Jay-Z war es längst Teil von Universal, einem Konzern, dem nicht nur Hip-Hop-Label gehören, sondern auch Decca und die Deutsche Grammophon). Bisweilen wurde dieses Motiv allerdings explizit formuliert, etwa von Jay-Z selbst. Man wollte sich für die historische Ausbeutung der Schwarzen durch weiße Kapitalisten, Labels und Musikproduzenten rächen und neue Vorbilder schaffen.
     
    »I do this for my culture, to let ’em
    know what a nigga looks like
    when a nigga’s in a ’Rossta. Show ’em how to
    move in a room full of vultures
    Industry’s shady, need to be taken over
    Label owners hate me, I’m raising the status quo up
    I’m overcharging niggas for what they did to the Cold
 Crush
    Pay us like you owe us for all the years that you hoed us
    We can talk, but money talks, so talk mo’ bucks.«
     
    Diese Begründung klang ein bisschen dünn, vor allem, weil es ja die Alternative unabhängiger schwarzer Labels gegeben hätte. Hier war wenig zu spüren vom Ethos der Unternehmensgründungen durch Schwarze, von der Begeisterung für Geschäftsmodelle innerhalb der afroamerikanischen Community, für die einst Leute wie James Brown gestanden hatten. Nein: Wem es gelang, aus dem Crack-Handel auszusteigen und ein erfolgreicher Musiker, Künstler, ja Star zu werden, der wollte genau die Belohnungen haben, die auch Weiße im Rahmen des egoistischen, am individuellen Aufstieg orientierten neoliberalen Kapitalismus bekamen, zu dessen exakter Kopie sich der Hip-Hop in seiner Gangster-Phase überraschenderweise entwickelte. Der Drogenboss, der sich in einen erfolgreichen Rapper verwandelte, würde letzten Endes dieselben scheinbar unerreichbaren Statussymbole erringen und zur Schau stellen wie erfolgreiche Investmentbanker oder Vorstandsvorsitzende. Auch er würde eines Tages einen Privatjet, einen Bentley und Louis-Vuitton-Taschen haben, Gucci-Anzüge tragen, die teuersten Whiskeys und Cognacs trinken – die Sachen eben, die in den Anzeigen der Hochglanzmagazine beworben werden, die wir zwar alle lesen, die sich jedoch in erster Linie an die ultrareichen Weißen richten, die es geschafft haben, den Rest des Landes im Zuge der beispiellosen sozialen Polarisierung hinter sich zu lassen, die wir
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