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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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rücksichtslos und mit genügend Organisationstalent ausgestattet war – mit genau den Begabungen also, die im Kapitalismus ganz allgemein gefragt sind – und keine allzu große Angst vor der Polizei und dem Gefängnis hatte, konnte sich einen Grundstock an Kokain zulegen, diesen in der eigenen Küche zu Crack verarbeiten und sich daranmachen, ein Netzwerk aus Verkäufern aufzubauen. In einer Situation, in der fünfzig Prozent aller Jugendlichen keine Arbeit hatten, war es kein Problem, so viele minderjährige Subdealer, Wachtposten und Läufer »einzustellen«, wie man organisatorisch irgendwie bewältigen konnte. Sie kosteten nichts, sie hatten keine Alternative, und die schiere Größe der Organisation stellte unter Umständen den entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar.
    Die vielen neuen Unternehmer stapelten sich jedoch praktisch, da sie einen geografisch überaus engen Markt bedienten und ihr Produkt an eine kleine Gruppe von Abhängigen verkauften. Zudem brauten sie ein Crack zusammen, das sich von dem ihrer Konkurrenten überhaupt nicht unterschied, da sie es alle strecken mussten, um Gewinn zu machen. Wer ein besseres Produkt hergestellt hätte, wäre ökonomisch gescheitert. Der entscheidende Weg, um sich einen Vorteil zu verschaffen und zugleich der Verhaftung zu entgehen, war der kluge Einsatz von Sicherheitsmaßnahmen und Gewalt. Studien über die Wellen der Tötungsdelikte zeigen, dass weder die Täter noch die Opfer high waren, sie waren aber in irgendeiner Weise ins Drogengeschäft verstrickt.
    Die Hochzeit der Gangster und alles, was seit 1988/1989 darauf folgte, hatte einen unerwarteten Nebeneffekt im Bereich des Hip-Hop, und das gilt bis in die Gegenwart selbst für den Großteil der absoluten Meisterwerke des Genres: Sie führte zu einer Neukonfiguration der Themen, Metaphern, der Haltung und der Authentizität der Texte. Sie handelten nun vom Geschäft, vom Eigentum und von Gewalt, und all dies ging auf das Crack-Drama zurück. Von den Anfängen Mitte der siebziger Jahre bis in die späten Achtziger rappte man irgendwelche Prahlereien, über Partys und Liebe, man huldigte erschwinglichen Konsumgütern (hauptsächlich Klamotten, Turnschuhen – »My Adidas« – und ab und an mal einem Auto), schickte Grüße in die anderen Viertel und beklagte gelegentlich das triste Leben in den postindustriellen Städten (zum Beispiel in Grandmaster Flashs »The Message«). Ende der Achtziger veränderte sich das schlagartig angesichts des harten Durchgreifens der Polizei undder neuen Struktur des Drogenhandels. So wurde Rap zu einer wirklich kapitalistischen Musikrichtung, die auch heute noch mehr über die Gegenwart zu sagen hat als andere Kunstformen. In den Texten aus den neunziger Jahren ist das Crack die Quelle des Bargelds, mit dem man den ersten Champagner, die Klunker und die Autos bezahlt – und zugleich der Ursprung jenes Pathos, der damit zusammenhängt, dass man diese Reichtümer nur für kurze Zeit wird genießen können, bevor man verhaftet oder erschossen wird. Anders ausgedrückt: Crack war der ursprüngliche Grund, aus dem die Metaphern und die Haltung nun um das Geschäft und die Jagd nach Geld kreisten. Bald sollte jedoch das Rappen selbst das Dealen als wichtigste Geldquelle ablösen, da die neue Grandezza der Themen es erlaubte, Hip-Hop an weiße Amerikaner und den Rest der Welt zu verkaufen.
    Ein besonders wichtiger Punkt, den man in diesem Zusammenhang nie vergessen darf, ist, dass die MC s selbst nie Crack rauchen. Sie verkaufen es. Um es noch einmal zu unterstreichen: In keinem Song, an den ich mich erinnern kann, nimmt irgendein Rapper Crack. Biggie handelt damit, Jay-Z handelt damit, Nas handelt damit, Raekwon handelt damit, 50 Cent handelt damit. Und von den Gewinnen kaufen sie sich Gras oder Alkohol, um zu entspannen (dieselben Drogen also, die um die Jahrhundertwende alle aufrechten Amerikaner konsumierten, egal, welcher Schicht oder welcher Rasse sie angehörten). Der ständige Wechsel zwischen diesen Aktivitäten – vom »rap game« zum »crack game« und zurück (»If I wasn’t in the rap game / I’d probably have a key knee deep in the crack game«, heißt es bei Notorious B.I.G. ) – ist es, der ab 1988 die neue Erzählung vorantreibt. Man weiß gar nicht sogenau, worüber ein MC nun gerade rappt, weil die beiden Bereiche sich strukturell so sehr ähneln. Selbst herausragende MC s können komplexen und rein fiktiven Dramen durch die biografische Tatsache Authentizität
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