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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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wurde. Neoliberale Regierungen in Washington verwandelten die Innenstädte in militarisierte Zonen, um einen Feldzug gegen Armut und Hoffnungslosigkeit zu führen. Aus Sicht der neoliberalen Ideologen galt Armut als Verantwortungslosigkeit. Und der beste Beweis dafür, dass die Menschen ihre Armut tatsächlich verdienten und dass man dagegen wenig ausrichten konnte, war die unvermeidliche Selbstmedikation mit aus Lateinamerika ins Land geschmuggelten Drogen (die Armen hatten schließlich keinen Zugang zu den Psychopharmaka der Mittelklasse, zu Valium und später Prozac). In Städten wie insbesondere Los Angeles, in denen Teile der Polizei ohnehin rassistisch waren und der Doktrin der weißen Vorherrschaft anhingen, nahmen die neuen »Anti-Gang«-Taktiken den offen terroristischen Charakter einer Strafexpedition an (daraus entsprangen die Misshandlungen, die später die Unruhen in Los Angeles auslösen sollten).
    Nach der reinen neoliberalen Lehre konnten weder die Armut noch das Drogenproblem mit Sozialhilfe oder mit öffentlichen Leistungen bekämpft werden, die bislang vor allem über die Steuern der Reichen, die nun entlastet werden sollten, finanziert worden waren: Bildung, Arbeitsvermittlung, Investitionen in heruntergekommene Viertel. Die Strategie der Wahl im Umgang mit der benachteiligten schwarzen Bevölkerung, die in den Innenstädten vom Rest der Gesellschaft abgeschnitten war, stellten in den Reagan-Bush-Jahren dagegen Polizeiterror und die Verbringung von immer mehr Menschen in die Gefängnisse dar. Soziologen gehen davon aus, dass die Arbeitslosigkeit unter jungen Afroamerikanern Mitte der achtziger Jahre bei über fünfzig Prozent lag; dazu kam, dass damals zu jedem gegebenen Zeitpunkt zehn Prozent aller jungen schwarzen Männer inhaftiert waren, so dass, statistisch gesehen, jeder dritte Schwarze einmal in seinem Leben im Gefängnis saß.
    Wenn man so will, waren die Veränderungen, die der Hip-Hop in den späten achtziger Jahren erlebte, auch eine Antwort auf die neoliberale Herausforderung. Man sprach damals vom Augenblick der »Gangster«. In vielerlei Hinsicht spiegelten sich darin die Privatisierungseuphorie, die oligarchischen Tendenzen und die Militarisierung unter dem Neoliberalismus Ronald Reagans. Außerdem entsprach dieser Wandel dem damals an der Wall Street an Einfluss gewinnenden Phantasma, man könne mit kurzlebigen Gütern und einem Unternehmergeist reich werden, der auf purem Willen basierte, nicht länger auf der industriellen Herstellung materieller Produkte. Und schließlich waren die Veränderungen, die den Hip-Hop damals erfassten, natürlich auch eine Konsequenz der totalen Vernachlässigung jener Schichten der schwarzen Bevölkerung, die nicht von den immer noch halbwegs funktionierenden institutionalisierten Aufstiegskanälen der höheren Bildung und der Affirmative Action profitierten.
    Die Droge dieser Menschen war Crack. Von der chemischen Struktur her unterscheidet sich Crack kaum von dem Kokain, aus dem es hergestellt wird. Forscher konnten zwar in den Jahrzehnten seit der sogenannten »Crack-Epidemie« zeigen, dass all die Meldungen über die angeblich sofort abhängig machende Wirkung, die Brutalität, den Wahnsinn und die »Crack-Babys«, die damals mit der Droge in Verbindung gebracht wurden, ein großer Schwindel waren; doch die eigentliche Bedeutung des Crack lag ohnehin im zugehörigen Geschäftsmodell.
    Im Grunde genommen basierte das »Jahrzehnt des Crack«, die Jahre von 1986-1996, auf der Entdeckung, dass man teures Filetsteak durch den Wolf drehen, mitanderen Zutaten strecken und in eine riesige Menge von Fleischbällchen verwandeln konnte, die sich an eine kleine Gruppe von Menschen verkaufen ließen, die einen nicht zu zügelnden Appetit auf Fleisch hatten. Im ersten Moment schmeckte es, doch dann ließ es die Leute hungriger zurück als zuvor. Eine wahrhaft kapitalistische Erfindung. Das Filetsteak war in diesem Fall Kokain aus Lateinamerika. Und in den Innenstädten entstand nun mit explosionsartiger Geschwindigkeit eine neue Variante der Heimindustrie.
    Der entscheidende Faktor war dabei weniger der über lange Zeit aufgestaute Bedarf nach einer solch lausigen Droge, sondern vielmehr der Umstand, dass arbeitslose junge Schwarze und Latinos verzweifelt auf solch eine Gelegenheit gewartet hatten, ihren Unternehmergeist zu verwirklichen oder einfach nur einen Job zu finden und schnelles Geld zu verdienen. Jeder, der ehrgeizig, fleißig, charismatisch,
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