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Vorstoß ins Niemandsland

Vorstoß ins Niemandsland

Titel: Vorstoß ins Niemandsland
Autoren: Alfred Bekker
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Kapitel 1 – Ein Kridan namens Sun-Tarin
 
 
    Das Jahr 2236
    Irgendwo im Niemandsland
     
    Die falkenhaften Augen der schnabelbewehrten, vogelartigen Gesichter wirkten aufmerksam.
    Grau wie das Gefieder unserer geflügelten Vorfahren , hieß es in einem uralten Lied der Kridan, das noch aus der Zeit stammen musste, da dieses von einem tiefen Glauben an seine göttliche Mission erfüllte Volk seine Heimatwelt Kridania noch nicht verlassen hatte.
    Eine Zeit, in der Gott das von ihm erwählte Volk noch prüfte, ob es wert sei, dass es in den Kosmos hinauszieht und dort die Göttliche Ordnung errichtet. Mythen und Legenden berichteten von dieser Zeit, von der niemand genau sagen konnte, wie lange sie vergangen war.
    Der Tanjaj-Rekrut Sun-Tarin wusste nicht, weshalb ihm die Melodie dieses Liedes ausgerechnet jetzt einfiel, in einem Moment, in dem er eigentlich an nichts anderes hätte denken sollen als an die bevorstehende Mission. Die erste Außenmission, an der er teilnahm, seit er an Bord der KRALLE DER GLÄUBIGEN diente, einem Kriegsschiff im Dienst des Heiligen Imperiums der Kridan.
    Die Melodie bildete eine Kette sehr schnell aneinander gereihter Halb- und Dreivierteltonschritte im Hochfrequenzbereich.
    Angehörige vieler anderer Rassen hätten dies als unspezifisches Gezwitscher angesehen, aber für Sun-Tarin stellte es eine unverwechselbare Melodie dar, die ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Stattdessen hörte er sie immer wieder aufs Neue, als spiele ein fehlerhafter Tonträger sie ab.
    Der Tanjaj-Rekrut vermutete, dass es mit der attraktiven Eierlegerin zu tun hatte, die er in den Straßen von Matlanor getroffen hatte, der auf Kridania gelegenen unvergleichlich schönen Hauptstadt des Heiligen Imperiums. Matlanor, die Göttliche, so nannte man diese Stadt auch, weil der Raisa dort residierte.
    Im Hintergrund hatte jemand dieses uralte Lied gespielt, als er der schönen Eierlegerin zum letzten Mal begegnet war.
    Nur ein paar Mal hatten sie sich treffen können.
    Nein , dachte Sun-Tarin. Treffen ist nicht der richtige Ausdruck. Es waren Begegnungen. Begegnungen, die wie zufällig aussehen mussten.
    Sie hatten ihre Namen ausgetauscht, was untereinander nicht versprochenen Kridan verschiedenen Geschlechts schon sehr viel mehr war, als den Tugendwächtern, die die öffentliche Moral hüteten, recht war.
    Anré-Sé.
    Ein Name, der in Sun-Tarins Bewusstsein wie eine Verheißung widerhallte. Eine Verheißung, die mit Schmerz verbunden war, denn sein Verstand sagte ihm, dass er Anré-Sé nie wieder sehen würde. Zumindest standen die Chancen dafür denkbar schlecht. Sie waren geringer als die Möglichkeit, bei einer der gottgefälligen Lotterien, deren überschüssige Einnahmen an Bedürftige verteilt wurden, den Hauptgewinn zu erzielen.
    Anré-Sé.
    Der Stachel der kalten Erkenntnis saß tief in seiner Seele. Diese anmutige Eierlegerin war von ihrer Familie und den Priestern für einen anderen Tanjaj vorgesehen. Es gab nichts, was das noch ändern konnte. Jeder musste den Partner bekommen, den Gott für ihn bestimmt hatte. Und nach Ansicht des Priesters war es nun mal Gottes Wille, dass Anré-Sé die zweite Eierlegerin des hohen Tanjaj-Offiziers Rer-Gar wurde.
    Du musst gegen diese Gefühlsregungen ankämpfen. Schließlich sind wir das zivilisierte, auserwählte Volk Gottes. Kein Kridan lässt sich von Emotionen wie der Zuneigung zu einer Eierlegerin davon abhalten, seine Pflicht gegenüber seinem Imperium und seinem Glauben zu erfüllen!
    So hatte man es Sun-Tarin eingeimpft. Sowohl in der Schule als auch während der Ausbildung zum Tanjaj, die er mit Bestnoten beendet hatte. Der Weg in höhere Offiziersränge stand jemandem wie ihm offen, wenn er sich bewährte. Chancen boten sich reichlich, denn das Imperium befand sich fast unablässig im Krieg.
    Nur beim Tod des Raisa, des religiösen Oberhaupts, kam es bis zur Bestimmung eines Nachfolgers durch die Priester zu einer Unterbrechung. Schließlich wurde der Heilige Krieg, mit dem das Reich der Kridan seine Expansion vorantrieb, im Namen des Raisa geführt. Es war undenkbar, dass er fortgesetzt wurde, wenn der Stellvertreter Gottes nicht auf seinem rechtmäßigen Thron saß, um die Gläubigen zu führen.
    »Träumst du, Sun-Tarin?«, fragte eine Stimme, die schneidend klang und deren Worte von einem schabenden Geräusch unterstrichen wurden, wie er bei der Reibung zweier Schnabelhälften entstand. Kalte, graue Augen blickten Sun-Tarin prüfend
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